Panamericana-Tour 2002
Samstag, 28. September

Kurz nach Mitternacht wurde ich wach. Es war kalt. Wir waren laut GPS in über 1.400 m Höhe. Ich zog mir umständlich meine Stiefel an und legte mich wieder hin, um mich von diesem Vorgang auszuruhen. Immer noch Fledermäuse überall. Aber der Dschungel war etwas leiser geworden. Vielleicht lag es auch nur am Nebel, der mittlerweile von irgendwoher gekommen war. Irgendwie bildete ich mir auch ein, daß der Nebel blinkte. "Blinkt das jetzt oder sind das meine Augen, die mir einen Streich spielen?", fragte ich mich selber. Dann bildete ich mir ein, abgerissene Wortfetzen zu hören. Ich sah mich um, immer und immer wieder. Das Blinken hielt ab, obwohl ich mittlerweile hellwach war. Da stimmte was nicht. Lateinamerikaner sind nicht leise. Schon gar nicht um diese Uhrzeit. Dann hörte ich etwas klicken, es hörte sich an, wie ein Verschluß. Das war keine Einbildung, und als ich herumfuhr, waren etwa zwanzig Meter vom Auto entfernt drei Gestalten zu sehen, alle drei bewaffnet. Zwei hatten Sturmgewehre, einer nur eine Faustfeuerwaffe, also Revolver oder Pistole. Der Mittlere hantierte an seinem Gewehr herum. Daher also das Klicken von eben. Wie in einem schlechten Film... Ich blieb auf meinen Blechen liegen und sah harrte der Dinge, die da kommen sollten. Nun mußten sie mich entdeckt haben, denn der eine nahm mich mit seinem Gewehr in Visier, der neben ihm hantierte immer noch an seinem herum, da schien was nicht in Ordnung zu sein. Der mit der Pistole zielte auch ungefähr in meine Richtung. Keiner hatte eine Taschenlampe dabei. Die Lichtverhältnisse waren eher schlecht. Ich bin etwas lichtempfindlich, kann nachts allerdings relativ gut sehen, wußte aber nicht, wie es um die Sehstärke bei den anderen bestellt war. Ich blieb ruhig liegen. was sollte ich auch tun?

Alle drei hatten aber Uniformen an, also Militär, Polizei oder Paramilitär. Einer rief zu mir herüber: "Bist Du bewaffnet?" "Nein", rief ich zurück, "Natürlich nicht." "Nimm die Hände hoch!", schrie er wieder, "Ganz langsam! Ich hab Dich im Visier! Keine falsche Bewegung." Ich nahm die Hände hoch. Die helle Khakifarbene Uniform war vorteilhaft, in diesem Fall, denn sie hob sich hell gegen den dunklen Hintergrund ab, so konnten sie immer meine Hände sehen. Ich richtete mich langsam auf - gar nicht leicht, ohne Hände. Was mich gerade nervös machte war, daß die Typen irgendwie selber viel zu nervös wirkten. Der eine, der anscheinend endlich fertig war, sein Gewehr durchzuladen, sah nun hinunter auf die Straße und fing an zu brüllen: "Mach das verdammte Licht aus, Du Idiot!", aber seine Aufforderung verhallte unerhört. "Der soll endlich das scheiß Licht ausmachen!", fluchte er. Der mit der Pistole lief los. Scheinbar standen dort unten ein oder mehrere Einsatzfahrzeuge. Der andere hatte mich nicht aus den Augen gelassen. "Also: Um auf das Thema zurückzukommen:", rief ich, immer noch mit erhobenen Händen auf dem Dachträger sitzend, mir langsam blöd vorkommend, "Ich bin deutscher Tourist. Ein Fahrzeug und eine Frau Besatzung. Und bewaffnet bin ich immer noch nicht. Ich hüpf jetzt runter und komme langsam zu Euch." Sogleich sprang ich vom Träger und ging langsam auf die drei zu. Das Licht hörte auf zu blinken. "Ich hab in meiner linken Knietasche unsere Pässe, wenn die Herren gestatten... Jetzt nimm doch bitte mal dieses Eisen da aus meinem Gesicht, ich bin nicht bewaffnet! Ich hole jetzt unsere Pässe aus der linken Knietasche, ok?" "Hemd hoch!" Ich zog mein Hemd hoch, drehte mich einmal 360 Grad. Nahm die Hände dann wieder ganz hoch. Er gab dem anderen den Befehl, mich zu durchsuchen. "No. No está armado", meldete er kurz darauf. "Sag ich doch. Soy turista, no soy terrorista!" - das ist mein Standard-Spruch.

Jetzt war er wohl davon überzeugt und nahm er das Gewehr aus meinem Gesicht. Ich gab ihm die Pässe. "Wieviele Personen seid Ihr?" "Immer noch zwei Personen, ein Fahrzeug, Señor", sagte ich. Dann wandte ich mich an den anderen, der immer noch sein Gewehr, das sich mittlerweile als wohl nachgemachte Kalaschnikow entpuppt hatte, im Anschlag hatte. "Da im Auto ist noch eine Deutsche. Nicht, daß Du Dich erschrickst und aus Versehen draufhältst." Das hatte er wohl schon mitbekommen. Er ließ die MP etwas sinken und versuchte das Lachen zu unterdrücken. Nur der Dritte mit seiner Pistole behielt diese im Anschlag. Mittlerweile hatte sich der, der die Pässe hielt nämlich gemeldet: "Was machst Du hier?", fragte er ernst. "Naja, bis ihr kamt habe ich geschlafen..." "Hier?" "Ja... Warum? Darf man das nicht?" "Wenn Du Dir unbedingt eine Kugel einfangen willst, dann nur zu." Der klang etwas aufgebracht. "Entschuldigung, das wußte ich nicht. Ist ja kein Schild da, das das verbietet. Aber ist kein Problem. Ich kann ja einfach weiterfahren", schlug ich vor. "Nein. So einfach geht das nicht. Das kostet natürlich." Das hat ja gedauert... "Aber jetzt müssen wir erst mal hier weg, und zwar so schnell wie möglich. Und ich fahre bei Dir mit." Gabi kam nun aus dem Auto geklettert und sah sich zwei bewaffneten Uniformträgern gegenüber, die mehr aus Gewohnheit, die Waffen auf sie richteten. "Was geht denn hier?" Ich erklärte den Polizisten, daß das die andere ist. "Die macht wirklich nichts. Keine Angst." Dann zu Gabi: "Paßt schon, steig wieder ein, wir fahren hier weg", wies ich sie an. Sie schaute auf die beiden Polizisten und sagte dann zu mir: "Bisch sicher? Frag lieber nochmal nach, weil ich will nicht, daß..." "Jetzt halt die Fresse und steig sofort wieder ein!", unterbrach ich sie etwas lautstark. Das konnte ich in solchen Situationen gar nicht gebrauchen. Sie ging wortlos wieder auf die Rückbank. "Die ist ein bißchen hinten nach gelblieben, weißt Du? Nimm sie einfach nicht ernst.", erklärte ich dem Polizisten, der mit mir zum Benz ging.

Auf dem Beifahrersitz nahm er dann Platz. Die mutmaßliche R15 legte er neben sich, den Schaft im Fußraum, der Lauf zeigte irgendwo nach hinten. Die Dienstpistole hielt der in der rechten - man weiß wohl nie - und der Lauf zeigte in meine Richtung. Ich fuhr aus dem Acker bis hinunter auf die Straße, wo das Polizeiauto stand. Sie fuhren los und er bat mich, dem Auto zu folgen. Je mehr wir uns von jenem Ort entfernten, desto ruhiger wurde er. "Wie habt Ihr uns überhaupt gefunden?", wollte ich wissen, "Das Auto konnte man von der Straße ja nicht sehen." "Dort wurde angeblich geschossen", meinte er. "Ich habe nichts gehört...", sagte ich. Auf dem Weg zur Polizeistation unterhielten wir uns. Bis wir angekommen waren, war er wieder die Ruhe selbst, verabschiedete: "Hier könnt ihr bleiben, hier ist es relativ sicher", sagte er und zeigte auf einen freien Platz vor der Polizeistation, "wenn ihr Wasser braucht, kommt einfach hinein. Es ist immer jemand da." Dann verließ er das Auto und ging in die Station. Die anderen beiden aus dem Polizeiauto auch. Ich winkte ihnen noch zu. "Buenas noches!" Kein Wort mehr von Strafe, alles war ok. Sehr gut. Es löst sich alles in Wohlgefallen auf. Ich legte mich auf das Dach und schlief weiter. Fast dreiviertel Eins war es nun. Die ganze Aktion hatte fast eine halbe Stunde gedauert (km 756.533).

In der Nacht blieb es trocken. Ich wurde relativ früh wach, versuchte, blieb aber noch ein wenig liegen und beobachtete die Gegend. Viel war noch nicht los. Zwei, drei Autos, zwei Drei Fußgänger. Nicht viel los. Aber es hatte tatsächlich jeder ein Revolver dabei. Ich fühlte mich dadurch nicht bedroht. Wahrscheinlich passieren hier weniger Unfälle mit Schußwaffen als in Deutschland. Aber wer weiß, wie der Rest der Mannschaft drüber denkt? Denkt? Schreit. Daher packte ich das Bettzeug in den Kofferraum und um Sieben waren wir bereits wieder auf der Landstraße. Aber nur für eine Stunde, dann fuhr ich eine Tankstelle an. Die war richtig nobel, sauber verlegte Betonplatten, kein Müll. Sogar die Luft war kühl und frisch. Dort wurde das Auto mal wieder aufgeräumt und gefrühstückt.

Tankstelle in Honduras.
Frühstück an einer Tankstelle.

Der Tankstelenwächter sorgte nicht weiter für Unruhe unter der Besatzung. Den Anblick war sie wohl schon seit Peru gewohnt und igenwie war sie draufgekommen, daß uns irgendwie immer noch niemand erschossen hatte. Immerhin hatte sie das mittlerweile kapiert.

Fünf nach halb Neun. Weiter geht es in Richtung Guatemala. Bei Siguatepeque bogen wir von der 5 ab nach Süden ab. Die Straße wurde etwas schmaler und der Belag war auch schon älter, aber die Schlaglöchern waren nicht sehr zahlreich. Das war in Ordnung. Überhaupt hatte Honduras zusammen mit Panama bisher die besten Straßen zu bieten gehabt. Aber man soll bekanntlich den Tag nicht vor dem Abend loben. Noch waren wir nicht an der Grenze. Diese Strecke ging auch durch das Gebirge, das senkte den Schnitt beträchtlich. Zumal die Streckenführung auch ziemlich besoffen war. Erst ging die Straße nach westnordwestlich, dann wieder südsüdöstlich, west, süd, ost, west, bis man nach knapp 30 Kilometern in Jesús de Otoro steht.

Danach wir die Straße zur Piste und führt mit Generalkurs Südwest immer weiter, immer bergauf, bis das GPS fast wieder 1.900 Höhenmeter anzeigte, und bis man ungefähr nach weiteren 30 Kilometern in einem Kaff mit dem Namen "La Esperanza" - also, die Hoffnung - steht. Mein erster Gedanke nach der ersten Rundfahrt im Dorf: "Den Namen muß sich wohl irgendein Perverser ausgedacht haben. Oder ein Pfaffe". Jedenfalls war dieses Kaff unbeschreiblich. Keine einzige asphaltierte Straße. So ging es schon mal los. Fast alle Häuser waren ewige Baustellen: Entweder sie waren schon wieder im Verfall begriffen, oder nie fertiggestellt worden. Oder beides - das kam auch vor. Tote Köter lagen herum, der Verwesungsgestank war unerträglich. Ich jagte den Benz von einem Schlammloch in das nächste, meterhoch schossen die dunkelbraunen Dreckfontänen. Man sah kaum noch PKW. Entweder Pickups, SUVs oder Geländefahrzeuge - die meisten Leute waren zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs. Wir waren in den letzten Wochen durch einige elende Käffer gefahren, aber dieses hier war bei weitem das deprimierendste. Und das Wetter! Und der ganze Dreck! Und der Name! Und überhaupt... Ich wollte weg!

La Esperanza...
Eine Straße in La Esperanza...

Wir verließen La Esperanza und unmittelbar dahinter wurde die Piste richtig schlecht. Auch das noch. Das wunderte mich dann doch ein wenig. Es war laut Karte immerhin eine Hauptverkehrsstraße. Natürlich darf man das nicht so ernst nehmen. Wenn man eine Weile in Südamerika war, weiß man, daß viele Straßen nur auf dem Papier existieren. Vielleicht waren sie mal da, vielleicht sind sie schon seit Jahren geplant, vielleicht wurde sogar schon mit dem Bau begonnen - vor einigen Jahren. Das weiß man nie. Allerdings hatte ich es in letzter Zeit mit diesen natürlichen Abweichungen eigentlich ganz gut hinbekommen. Dachte nicht, daß mir sowas unterlaufen könnte. Es war nicht furchtbar schlimm. Der Schnitt wurde eben noch weiter herabgesetzt. Aber das war nicht schlimm. Wir hatten wirklich einen Haufen Zeit und die noch zurückzulegende Strecke bis Mexiko war relativ überschaubar. Die paar Meter... Am Schluß würden wir in Playa rumhängen und nichtstun oder auf Mallorca-Blödel machen.

Einige Passagen waren zugegeben etwas kniffelig, Die waren entweder durch Sturzbäche oder Erdrutsche verursacht, jedenfalls sah es aus, wie eine sehr schlecht verheilte Narbe auf dem weißen Band der staubigen Kiespiste. Zwar war Arbeit nötig, aber wir schafften es ohne aufzusetzen. Alles ganz unspektakulär. Zwischendrin regnete es. In irgendeinem kleinen Kaff hielten wir, um etwas zum Essen aufzutreiben. Das klappte dann schließlich, aber erst nach mehreren Anläufen. Entweder die hatten noch zu, oder sie hatten schon zu, oder sie hatten gar nicht zu, aber dafür auch nichts zum Essen da. Als wir das Essen dann hinter uns hatten fuhren wir weiter bis kurz vor die Grenze, in die Gegend von Santa Rita, La Cutilca. Dort blieben wir in einem Hotel, das Piripaque oder so ähnlich hieß. Vielleicht hieß auch das ganze Kaff so, das ging nicht so eindeutig aus den Angaben der Einheimischen hervor. Jedenfalls waren wir kurz nach Sonnenuntergang dort (18:00 Uhr / km 756.900). Das Hotel war nicht großartig, aber es hatte einen eigenen Parkplatz. und während Gabi sich um die Wäsche kümmerte, stahl ich mich davon und suchte nach einem Internetcafé, in dem ich vielleicht ein paar eMails ausdrucken kann. Immerhin verfügte ich mittlerweile über eine Schwarzkasse, die ich mir gerade für solche Fälle zugelegt hatte.

Piste vor La Esperanza. Piste nach La Esperanza.
Piste vor La Esperanza... ...Piste nach La Esperanza.

Allerdings fand ich kein Internetcafé und nachdem ich das nicht gefunden hatte, tat ich mich schwer, den Rückweg zum Hotel zu finden. Nicht nur wegen der Orientierung, die ich nicht habe, sondern weil das Hotel einen völlig unbekannten Namen hatte, den ich mir darüberhinaus auch gar nicht merken konnte.
Nun hatten wir schon wieder das nächste Land durch. Bis zur Grenze war es noch ungefähr eine Stunde. Bisher war ich von diesen beiden zentralamerikanischen Ländern, von denen ich am wenigsten erwartete positiv überrascht: Nicaragua und Honduras. Das ist wohl immer so. Wer am wenigsten erwartet wird am seltensten enttäuscht. Mit Costa Rica, hingegen, konnte ich überhaupt nichts anfangen. Doch nun wurde geschlafen. Morgen stand wieder ein Bodercrossing an. Die häufen sich in letzter Zeit. Wir fuhren mit Volldampf auf das teuere Playa zu, statt es uns in diesen relativ billigen Ländern abseits der großen Touristen-Tummelplätze die Reise zu genießen. Und ich wußte jetzt schon, daß ich das bereuen würde. Ich wußte aber auch, daß Almut eines Tages bestimmt Zeit und Lust haben würde, sich in Lateinamerika umzusehen. Dann muß die Fahrt eben wiederholt werden. Bloß wann?


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© by Markus Besold