Panamericana-Tour 2002
Sonntag, 22. September

Unter den Bäumen war es länger schattig, also konnte ich ein bißchen länger schlafen. Frühstück gab es auch. Um viertel nach Neun fuhren wir los in Richtung San José. Dort gab es anscheinend etwas zu sehen. Diese Straße, auf der wir wieder auf die Hauptstraße zurückhüpften, nervte mich. Die sah gar nicht alt aus, der Asphalt war noch gar nicht rissig, aber dennoch von Schlaglöchern übersät. Ich mußte mich darüber auslassen. Mich nervt es immer gewaltig, wenn etwas nicht funktioniert, was aber funktionieren muß. Straßen sind ein Spiegelbild des Landes - zumindest ist das meine Erfahrung. Straßenbau in Brasilien funktioniert folgendermaßen: Die Regierung hat die Absicht, eine Straße zu bauen. Mehrere Firmen machen einen Kostenvoranschlag. Derjenige, der dafür verantwortlich ist, das Projekt an eine Baufirma weiterzugeben, gibt es entweder einem Bruder, Onkel, oder demjenigen, der ihm einen angemessenen Betrag gibt, oder auch demjenigen, der ihm und / oder seiner Familie als Gegenleistung nichts tut. Ist auch egal, wer den Zuschlag bekommt. Nun liegt der Kostenvoranschlag von - sagen wir 100 Millionen MickyMaus vor. In Wirklichkeit wären zwar 80 oder 90 genug, aber die 10 Mio. steckt erstmal derjenige ein, der den Kostenvoranschlag bringt. Jeder, der daran beteiligt ist, Genehmigungen auszustellen, findet sofort jede Menge Probleme, die nur dadurch behoben werden können, daß von den übrigen 90 Millionen bald weitere 10. Dann kommt der Handlanger des Bauunternehmers und kauft das Material nicht bei dem Lieferanten, dessen Preise für den Kostenvoranschlag herhalten mußten, sondern bei irgendeinem Bekannten, Verwandten, Spezl, der das Zeug von woanders hergenommen hat, oder das qualitativ minderwertig ist, oder das auf irgendeine Art und Weise unter dem Preis liegt. Die Differenz behält natürlich er. Das Material ist schließlich da. Dann werden nicht irgendwelche Qualifizierten Arbeiter eingestellt, sondern wieder irgendwelche Kumpels von irgendwelchen Kumpels, die in der Stunde weniger kosten. Von den 100 Millionen ist mittlerweile die Hälfte in irgendwelchen Taschen versickert, von der Straße ist noch lange nichts zu sehen. Und so geht es nach unten immer weiter. Irgendwann macht sich eine ewige Baustelle breit. Wegen Geldmangel bleibt immer wieder alles liegen, bis zum Schluß ein fünftklassiges Asphaltband sich durch die Landschaft zieht, das nach dem ersten Regen schon beginnt, sich zu verabschieden. Der Asphalt wird immer weniger, die Schlaglöcher immer mehr.

Straße Puerto Viejo - CR
Wie sehen dann erst Nicaragua und Honduras aus?

Und es liegt nicht am Regen und auch nicht am Schwerlastverkehr. Die kommen noch hinzu, sind aber nicht ursächlich. Das sind dumme Ausreden. Irgendwas muß man ja den Leuten erzählen, besonders dann, wenn sie auch noch teures Geld abdrücken müssen, um sich über die Schlaglöcher kämpfen zu dürfen. Das ist natürlich kein rein brasilianisches Problem. Im Prinzip ist es in den meisten Ländern der Welt so, hier mal mehr, dort mal weniger. Aber Korruption gibt es auch in den Industrienationen - nur nicht für jeden so offensichtlich. Hier sieht man nur, wo es hinführt, "wenn das jeder macht". Und dabei macht es auch hier nicht jeder.

Wir fuhren in Richtung San José. Die Strecke führte durch den Dschungel und war daher ziemlich langweilig. In einem Kaff, durch das wir fuhren, trat ich aus Versehen eine Schwulen-Diskussion los. Die entsprechende Betitelung eines anderen Verkehrsteilnehmers, dem das Abbiegen etwas schwerfiel, führte unweigerlich dazu, daß ich mir eine Moralpredigt anhören durfte, was ich überhaupt gegen Schwule hätte. Hab ich ja gar nicht. Nicht einmal ein Spray. Das sagt man halt so, wenn einer so mädchenhaft Auto fährt, daß er eben schwul ist... Ist ja nicht gleich wörtlich gemeint. Wenn ich jemanden als Gipskopf bezeichne, mein ich ja auch nicht, daß sein Kopf aus Gips hergestellt worden ist. Meine Güte! "Ich bin auch nicht besonders erfreut, wenn ich in einem Lokal hocke mit meinen Kumpels, und da kommt die Schwuchtel-Edi auf Plateau-Schuhen dahergewackelt und muß jeden einzelnen im Lokal wissen lassen, daß er Schwul ist. Wobei da das Problem nicht das ist, daß er Schwul ist, sondern daß er es jedem auf Aug drücken muß auf möglichst unangenehm laute Art und Weise! Es soll noch ein paar Leute geben, die sowas stört, da bin ich nicht allein." Daraufhin folgt die Sozialpädagogenschiene: "Was, bitte, tut Dir dran weh, wenn einer das macht?" Blöde Frage! "Das gleiche, was Dir wehtut, wenn ich in dasselbe Lokal hineinmarschiere und jedem, der es nicht hören will, ein freudiges 'Heil Hitler' ins Ohr schmettere." Das Prinzip "Was dem einen Recht, ist dem anderen billig" gilt nicht. Nicht bei Gabi. "Entschuldige, aber damit sind vielleicht ein paar Morde verbunden", lautete ihr Argument. "Aber mit dem Kommunistenstern darf ich schon da hin. Die waren ja ganz lieb. Da waren es auch keine Morde, sondern nur Reinigungen... Säuberungen... Irgendwas positiv behaftetes auf jeden Fall..." Die Diskussion führte natürlich zu nichts - was in der Natur der Sache lag...

Puerto Viejo - CR
Nochmal durch die OPrtschaft Puerto Viejo zurück zur 36.

Irgendwie war ich nicht gut drauf heute. Es war nicht besonders kalt, aber mich fror es. Außergewöhnlich, bei den Temperaturen, und was dieses Gefühl noch verstärkte, war die Tatsache, daß es mich am Rücken fror. Und das ist das sicherste Anzeichen für Fieber. Noch bevor wir in San José ankamen hatte ich darüber Gewißheit. Ich war krank. Ich! Ich bin nie krank! Hofe nur, das ist kein Dengue oder Malaria, oder irgendso ein Dreck. Wenn man sich nur mal ansieht, was man sich hier so alles durch diese Mistviecher holen kann... Vielleicht ist es auch einfach nur das obligatorische Kranksein, daß einmal alle zehn Jahre vorkommt. Keine Ahnung. Auf meine Immunabwehr konnte ich mich eigentlich immer verlassen. Der einzige, der mir da noch was vormacht ist der Metzger Michi. Aber das liegt daran, daß alle Krankheiterreger sofort durch die hohe Alkoholkonzentration im Blut wegdesinfiziert werden. Die haben keine Chance. Ich als Abstinenzler muß auf Diesel zurückgreifen. Alerdings nur löffelweise, nicht literweise. In Finnland war ich Trottel damals losgefahren mit der simplen Annahme: Es ist Juli, also ist es warm, ergo braucht man keine Jacke. Daß das in Finnland nicht unbedingt galt, hatte ich nicht bedacht. Damals nahm ich einen Suppenlöffel Diesel, weil ich fühlte, daß ich dabei war, krank zu werden. Am nächsten Tag war ich wieder wie neu. Einbildung? Vielleicht. Aber ich will Resultate. Und wenn Resultate vorzuweisen sind, dann interessiert es mich nicht, warum. Und umgekehrt.

Kurz vor San José kam die nächste Polizeikontrolle. Er kontrollierte gerade das Auto vor uns, gab mir aber ein Zeichen, dahinter anzuhalten. Das tat ich und wir warteten, bis er mit der anderen Kontrolle fertig war. Den Motor ließ ich laufen. Vielleicht konnte man ihn zur Eile antreiben, wenn man anstalten machte, daß man langsam weiterfahren will. Das hilft manchmal. Einfach auf dumpf umschalten und so tun, als wüßte man nicht, was er von einem will. Ganz ohne irgendeine Aggressivität im Blick oder in der Stimme. Einfach nur dumm. Ich ließ die Kupplung schleifen, Räder hart Backbord. Sah den Polizisten an. "Kannsch vielleicht mal den Motor ausmachen?", hörte ich Gabi. Ich meinte eigentlich dumm, nicht sau dumm. Ich sparte es mir irgendwas zu erklären. Hatte doch keinen Sinn. Ich stellte wortlos den Motor ab und wartete, bis er zu uns kam.

Polizeikontrolle vor San José.
Verkehrspolizeikontrolle kurz vor San José.

Der Polizist kam zu uns. Ich gab ihm den gesamten Inhalt meiner Knietaschen. Alles Papiere, inklusive Impfpaß, internationaler Versicherungskarte - die hier soviel wert war, wie eine Mitgliedschaft im Kaninchenzüchterverein in Mistelbach. Soll er sich durchwühlen. Er fragte nach dem Wohin, dem Woher und danach, was wir in Costa Rica machen. "Transit!" Tourismus wäre glatt gelogen... Er betrachtete die Papiere eine Weile, mehr aus Neugier, gab sie mir dann zurück und ließ uns weiterfahren. Ich ließ den Motor an und gab erst ein paar mal Gas und ließ den Motor ein wenig auf Drehzahl kommen. Türe auf und checken, ob die Dieselwolke auch schön ist. Sie gefiel mir. Dann fuhr ich los.

Um 14:30 Uhr kamen wir in San José an. Ich stellte das Auto bei einer Shopping Mall ab. Irgendwie hatte ich gerade keine Lust, das Auto zu verlassen. Mir war kalt. "Nimm so ein Fiebermedikament aus dem Sanikasten!", sagte Gabi. "Das Fiebermedikament unterdrückt bestimmt nur die Symptome, aber eliminiert nicht die Ursache..." "Die, die das erfunden haben werden sich schon was dabei gedacht haben..." Tolles Argument. Die, die das Reißverschlußverfahren erfunden haben, haben sich auch was gedacht... Aber die Diskussion hatten wir ja schon. In Equador. Ich mußte allerdings ins Internet. Also nahm ich die Dreckstablette und wir gingen los.

Die weniger wichtigen eMails bearbeitete ich gleich, das Nora-eMail blieb unbeantwortet. Ich druckte es nur aus als Gute-Nacht-Lektüre. Ich kann nicht schreiben, wenn mir dauernd eine mitliest. Hatte sie keine eigenen eMails zum lesen, oder ein eigenes Leben, um das sie sich kümmern mußte? Natürlich nicht. Ist in Deutschland üblich, daß man sich immer um andere Leute kümmert. Ich war auch extrem matt, heute. Zwar fror es mich dank der Tablette nicht mehr, ich spürte aber, daß das Fieber nicht weg war. Wir blieben einige Stunden in der Mall.

Danach zum Auto. Es hatte angefangen zu regnen. Das begünstigt die Nachtplatzsuche nicht unbedingt. Weiterfahren wollte keiner. Ich brauchte Ruhe. Am besten eine gescheite Mahlzeit, dann ein Bett, in das ich mich hineinlegen konnte und so lange schlafen, bis ich von selber aufwachte. Das hilft meistens. Erstmal zur Tankstelle. Dort nahm ich nach dem Tanken, auch meinen besagten Löffel Diesel ein. Jetzt noch irgendwo etwas Gescheites Essen und dann ab in ein Hotel, hinlegen schlafen. Schon um Fünf nachmittags begannen wir mit der Nachtplatzsuche.

San José, Costa Rica.
San José, Hauptstadt von Costa Rica.

Anstatt gleich in ein Hotel zu fahren, fuhren wir noch vier Stunden auf und ab, um irgendeinen Campingplatz zu suchen. Der Verkehr war recht zivilisiert.
Ich wage mal die Behauptung, daß wir bei dieser Aktion mehr Zeit verschwendet haben, als alle vorangegangenen Polizeikontrollen seit Peru ausgemacht hätten, nur um dabei einen Bruchteil von dem zu sparen, was nicht bezahlt hätten, hätten wir das Spiel zu Ende gespielt. Doppelt bescheuert. Aer mit Vernunft kann ich da nicht ansetzen - abgesehen davon, daß ich das, Fieber hin oder her, sowieso schon lange aufgegeben hatte.

Das mit dem Essen haute auch nicht wirklich hin. Irgendwie gab es schon seit Ländern nur noch aus der Bordküche etwas Gescheites zu essen. Die Hauptnahrung besteht aus Gockel, Reis, Bohnen, und das in alles möglichen Variationen. Die Essenskultur ist in Lateinamerika nicht weit verbreitet. Brasilien und Argentinien haben davon noch etwas abbekommen, wahrscheinlich, weil sie am Atlantik liegen. Aber diese Pazifikanreinerstaaten können kulinarisch überhaupt nichts. Und es sah nicht so aus, als würde sich das je wieder ändern. An der nordmexikanischen Grenze hört dann alles auf. Hier kann man noch von einer fehlenden Eßkultur sprechen. In den USA fehlt jedwede Kultur und essen tun nur ein paar wenige. Wenn der Durchschnittsamerikaner Besteck am Tisch sieht, glaubt er, der Zahnarzt ist zu Besuch...

Sowohl das eine, als auch das andere mußten wir dann abschreiben. Es gab einfach nichts Passendes. Keine gescheite Übernachtungsmöglichkeit, kein gescheites Essen... Das Wetter war auch nicht gerade gut. Zwar hatte es aufgehört zu regnen, aber nichts sprach dafür, daß es so bleiben würde. Und ich nahm mittlerweile alles nur noch durch ein grobes Raster wahr: Hell, dunkel; warm, kalt. Für Gabi war ohnehin die ganze Welt schwarz weiß. Allerbeste Chancen zum Absaufen. Was soll's. Wir aßen einen Burger, dann fuhren wir weiter und Gabi suchte aus dem Lonely Planet ein Hotel heraus. Es lag in Heredia. Hier ist alles so eng beieinander. Wenn man irgendwo zum Schiffen anhält, kann es passieren, daß das Auto in einem anderen Bundesstaat / Provinz steht. San José ist logischerweise in San José, zumindest ein Teil davon. Ein anderer in Alajuela (NW), einer in Heredia (N) und wenn es blöd geht, reicht auch noch etwas davon nach Gartago (W) hinein. Um 21:00 Uhr (km 754.865) liefen wir das Hotel "Las Flores" an. Es kostete 18 US$ pro Nacht, war durchaus edel, ungewöhnlich sauber und die Zimmer waren nicht besonders groß, aber durchaus gemütlich. Ich nahm eine heiße Dusche, zog mir eine frische Montur an und legte mich ins Bett - mit so vielen Decken wie möglich. Nach wenigen Minuten war ich eingeschlafen, in der Hoffnung, daß morgen alles wieder so wie immer sein würde.


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