Panamericana-Tour 2002
Mittwoch, 18. September

Bereits um halb Sieben wachte ich auf. Es regnete leicht. Als hätte das nicht noch ein paar Stunden warten können. Ich lag eine Weile unentschlossen auf dem Dach und ließ mich vollregnen. Was sollte ich tun? In den Innenraum umziehen, mich noch eine Stunde auf die Vordersitze flacken? Oder gleich aufstehen und weiterfahren? Gabi wurde auch wach und sorgte erst mal für Ordnung im Innenraum, während ich den Kofferraum einrichtete.

Vielleicht war ja der Ami schon wach? Da stand noch eine Einladung zum Frühstück im Raum. Da ich nicht sehr entscheidungsfreudig war, nahm mir der Amerikaner die Entscheidung ab. Er kam ans Auto und meinte, ob wir nun frühstücken wollten. Ich sagte zu. Aber wir mußten erst klarschiff machen. Das würde noch ein wenig dauern. Das traf sich, denn in der Zeit konnte er das Frühstück herrichten.

Um Sieben waren wir endlich fertig. Aus der Zigeunerschleuder wurde wieder ein Auto, welches sich auf Tour befand. Den Innenraum hatte Gabi besser hingekriegt als ich den Kofferraum. Aber bei letztem kam es nicht auf Ästhetik, sondern auf die Funktionalität, also Zugänglichkeit an. Jeder Kubikzentimeter wurde ausgenutzt. Ich ließ den Diesel an und fuhr sogleich in seine Einfahrt. Am liebsten hätte ich den Motor wenigstens warmlaufenlassen, aber Umweltapostel Gabi würde jeden Versuch im Keim ersticken / niederplärren. Ich ließ es einfach sein. Da gibt es einen amerikanischen Lehrsatz: Es ist weitaus besser, eine falsche Entscheidung zu fällen, als gar keine. Wenn man nämlich keine Entscheidung fällt, dann entscheiden andere für einen, somit hat man die eigene Freiheit aufgegeben. Somit hatten wir auch gleich ein Gesprächsthema für den Frühstückstisch. Auch nicht schlecht.

Mon ami américaine...
In der guten Stube.

Sein Name war Bill. Er bot uns an, einfach hier zu bleiben, falls uns danach war, einen Tag Pause einzulegen. Ich war sofort dafür, ging aber davon aus, daß Gabi ganz schnell ganz dringend weitermußte, bevor das Meer austrocknet. Aber dem war gar nicht so. Sie stimmte auch zu. Das freute mich sehr. Ein wenig Luxus genießen, damit man nicht vergißt, daß es auf der Welt auch sowas gibt. Als erstes wurde Wäsche gewaschen. Das war Gabis Aufgabe, da sie ohne Zweifel besser mit einer Waschmaschine umgehen konnte als ich. Ich verzichtete allerdings darauf, ihr schlaue Ratschläge und sonstige Anweisungen zu erteilen. Der Zynismus wäre zwar rübergekommen, aber auf lange Sicht hätte er wohl kaum eine Wirkung erzielt. Ich ging mit unserem Gastgeber auf Standortbesichtigung. Er war "Kanalarbeiter", sozusagen, denn er war als Ingenieur bei der Firma angestellt, die den Panama-Kanal unterhält und verwaltete. Mittlerweile natürlich in Rente. Ihm gefiel es in Panama. Er meinte, es sei ein kleines, beschauliches Land, das für seine geringe Größe sehr viel Abwechslung zu bieten hatte. "Nur eine Stunde von hier ist man in den Bergen und kann die Höhensonne und die klare, kühle Bergluft genießen".

Das Haus war nicht besonders groß, hatte aber alles, was man benötigt. Wohnzimmer, zwei Schlafzimmer, Küche und Bad. Sehr nett eingerichtet alles. Auch technisch war es auf dem neuesten Stand. Er besaß sogar einen funktionierenden Rechner mit Internetverbindung. Sehr ungewöhnlich für Leute in diesem Alter - zumindest in Deutschland. Die Amerikaner dürften Innovationen gegenüber aufgeschlossener sein, als der Deutsche. "Das haben wir schon immer so gemacht" - einer der deutschesten aller Sätze... Das Neanderthal ist auch nicht ganz ohne Grund in Deutschland. Die Stereoanlage, die im Wohnzimmer stand war auch die modernste, die ich seit Jahren gesehen hatte.

Er hatte eine kleine Solaranlage. Selbstgebastelt, zwar, aber sie erfüllte ihren Zweck. Sie bestand aus einem Gerüst im Garten, auf dem sich eine Fläche aus schwarz lakierten und versiegelten Furnierplatten befand. Auf dieser Fläche verliefen einige Decameter schlauch - ebenfalls schwarz. Das eine Ende war an einem Wasserhahn angeschlossen, das andere ging zum Haus. Dort verzweigte es sich und lief in Küche und Bad. Zum Duschen mußte man das kalte Wasser hinzuschalten, oder bis tief in die Nacht warten, damit man sich nicht verbrühte. Ich zog erstes vor.

Unser Gastgeber hatte einen Angestellten, der ihm wohl im Garten und bei seinen Einkäufen half. Beide mußten am Nachmittag in das nächstgrößere Kaff, um einzukaufen. Er fuhr, der Angestellte saß auf dem Beifahrersitz. Wenn ich mal ganz reich bin, stelle ich mir auch extra einen Fahrer an, den ich selbst herumkutschiere. Das ist mal richtig dekadent. Er ließ und allein im Haus zurück. Hier mußte die Welt wirklich noch in Ordnung sein. Ich hätte nie davon zu träumen gewagt, daß es immer noch irgendjemanden auf der Welt gab, auf den ich auch nur einen halbwegs vertrauenswürdigen Eindruck machen könnte. Nach gut zwei Jahren sah ich aus wie ein völlig abgerissener Penner. Kein Kleidungsstück, das nicht entweder zerrissen war, oder von Ölflecken übersät. Dazu kam noch die halbzerfallene Kraftfahrermütze und der nie zurechgestutzte wilde Bewuchs in meinem Gesicht. Dieses Aussehen hält einem das Gesindel vom Hals, auch bei korrupten Bullen hat man es leichter, denn es ist offensichtlich, daß bei mir nichts zu holen ist, andererseits hält es oft auch normale Leute fern. Doch das nahm ich in Kauf. Ich würde es nie anders machen.

Gabi beim Wäscheaufhängen.
Bills Terrasse...

Auf der Terrasse hängte die Gabi unsere Klamotten zum trocknen auf. Die würden wohl nicht mehr trocken werden. Ganz abgesehen davon, daß es mittlerweile schon so spät war, daß es schwachsinnig wäre, jetzt loszufahren - nur um ein paar hundert Kilometer weiter in der Prärie zu schlafen. Am besten neben einem Moskitoverseuchten Tümpel oder einer Müllhalde. Da schien es mir hier weitaus gemütlicher. Es gab keine Zweifel mehr, daß wir hierbleiben würden, diese Nacht.

Als ich mein Zeug wieder in Händen hatte, kam ich mir vor wie neu eingekleidet. Fein! In der Abenddämmerung kam unser Gastgeber zurück. Wir aßen zu Abend und saßen noch lange am Eßtisch. Seit langem haben wir wieder mal Nachrichten gehört. Obwohl das Radio im Auto funktionierte, kamen wir aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nie dazu, Nachrichten zu hören. Bewußt tat ich das unterwegs zuletzt wohl in Finnland 1997. Hier meldete jedenfalls die schöne, glasklare Stimme einer Amerikanischen Sprecherin, daß irgendwelche Studierten Leute ein schwarzes Loch irgendwo da draußen im Weltall entdeckt hatten. Anschließend hielt irgendein Kommentator einen Vortag über Pädophile. Darüber mußte sich Bill stark aufregen und das Gesprächsthema für heute Abend stand damit fest.

Er machte auch keinen Unterschied zwischen Schwuchteln und Pädophile. Ich konnte es nachvollziehen, Gabi nicht. Wie denn aus? Sie war Sozialpädagogin... Ich fand es witzig. Eine überzeugte Sozialdemokratin, die so 150% deutsch ist, daß sie jeder neutrale Beobachter ohne Probleme der NS-Frauenschaft zuordnen würde. Das wäre sie wohl auch geworden, wäre sie in einer anderen Zeit geboren worden. Abär se wörde das bäs zom letzten Blotstrrropfen bestrraiten! Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag.

"Wie's die Welt mag treiben,
  Wie sie uns auch droht:
  Deutsch sind wir und bleiben
  Deutsch bis in den Tod!"

Er kannte jedenfalls Gabi noch nicht gut genug, ansonsten hätte er die Diskussion gar nicht erst angefangen, sondern ihr gleich von Vornherein Recht gegeben. Das ist am besten. Da spart man sich die Rederei und das Ergebnis ist ohnehin dasselbe. Es gibt nichts zu diskutieren. Er hielt sich erstaunlich lange. Zwar waren seine Argumente auch nicht wirklich schlüssig und man merkte, daß er aus Texas kam, aber das machte ihn auch nicht unsympathisch.

Wie man sich nur so aufregen kann über Sachen, die Leute sagen. Das tut doch nicht weh! Da sind uns die Asiaten wirklich Jahrtausende voraus. Gerade Deutschland ist in der Hinsicht ein richtiges Entwicklungsland. Kein Wunder. Da, wo die schönen Sprüche über den "mündige Bürger", über die "Redefreiheit" und die übrigen schönen Vokabeln getönt wird, da ist es um die Tatsachen schlecht bestellt. Der Deutsche ist nur soweit mündig, als daß er nach dem Staat schreien darf, wie ein Schulmädchen nach der Mutter, und die Redefreiheit hat man nur solange man den Mund nicht aufmacht. Es ist in einem anderen Entwicklungsland auch so: Brasilien! Die entblöden sich nicht "Ordnung und Fortschritt" auf die Nationalfahne schreiben zu lassen - die meisten Leute können dort ja nicht selber schreiben. Kaum ein Land ist weiter von Ordnung und Fortschritt entfernt als gerade jenes. Diese Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen, wenn man ein wenig darüber nachdenkt. Aber das Nachdenken ist meine Stärke nicht, daher belasse ich es dabei.

Das Zimmer in dem wir schliefen war angenehm kühl und ich genoß es, mal wieder in einem weichen Federbett zu schlafen, in einem Zimmer, das keine Heerscharen von Insekten beherbergte, und in dem man nicht die dieselgetränkten Schlafsäcke benötigte, um sich das Ungeziefer vom Leibe zu halten. Es brauchte keine zwei Minuten, und ich war in einen tiefen Schlaf versunken.


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