Panamericana-Tour 2002
Montag, 2. September

Gabi bereitete das Frühstück, ich ließ es mir schmecken. Bevor wir losfuhren, mußten wir noch geldwechseln. Und zwar nicht zu einem solch unverschämten Kurs wie gestern. In der gleichen Straße, in der wir am Vortag gewechselt hatten, war auch eine Bank. Die bot einen vernünftigen Kurs und also wechselten wir dort. Das dauerte etwas länger als erwartet, aber Zwischenfälle gab es keine. Ich kam mit einem Bündel Dollar zurück zum Auto, dann machten wir uns auf nach Barranquilla. Es war schon zwanzig nach Neun.

Wieder fuhren wir an den Armensiedlungen vorbei und ich fragte mich, wo ich lieber wohnen würde, müßte ich denn in einer Armensiedlung wohnen. Hier oder in einem der Elendsviertel in den Großstädten.

Armensiedlungen
Armensiedlungen südlich der Straße von Santa Marta nach Barranquilla.

Meine Gedanken wurden durch den Daimler gestört. Er legte jenes Verhalten an den Tag, das auf einen sehr niedrigen Luftdruck im Reifen hinten links hinweist. Jawohl, das kann man fühlen. Spätestens nach 100.000 km mit entsprechenden Reifen, wenn ständig einer Platt ist - sein muß, weil er sowas wie ein Profil schon lange nicht mehr hat. Zum Glück interessiert das Reifenprofil hier wirklich niemanden. Das würde wirklich ins Geld gehen. "Verdammt! Verdammt, verdammt!", zitierte ich Jürgen Prochnow... "Was ist?" "Reifen platt..." "Schon wieder?" "Ja. Und es wird wohl noch öfter passieren..." Ich hatte gar keinen Bock, rauszugehen. Am liebsten die kühle Nacht abwarten, aber dann hätte man das Problem mit den Mücken. Und was ich lieber hätte interessiert den Reifen einen Dreck. Der ist fertig mit der Welt und nichts mehr zu befürchten. Was sollte ich tun? Ihn nochmal abstechen? Wohl kaum. Also raus. Schon schlug mit die schwüle Luft der karibik ins Gesicht. Die Sonne brannte herunter, kein Wind, nicht mal das leiseste Lüftchen ging. "Fuck!", fluchte ich vor mich hin. Und als ich merkte, daß das nichts half, fluchte ich noch mehr, bis ich irgendwann einsah, daß auch das nichts half. Im Zeitlupentempo, mit vielen Cigarrettenpausen holte ich den Ersatzreifen aus dem Kofferraum, der zu diesem Zwecke vollständig leergeräumt werden mußte. Aber die beiden Reifen auf dem Gepäckträger waren schon hinüber, also mußte der eigentlich Ersatzreifen her. Und nun mußte zumindest ein neuer Reifen als Ersatz her, oder einer der vorhandenen irgendwie wieder geflickt werden. Hier draußen keine Chance. "Hoffentlich halten sie alle bis Barranquilla", dachte ich mir. Das wäre kein Spaß, mit Gabi irgendwo stehenbleiben und nicht weiterkönnen, auch wenn man gern möchte.

Es dauerte alles über Gebühr. Am Schluß mußte der Kofferraum wieder eingeräumt werden, jedes Mal, wenn ich mich hinunterbeugte, um irgendein Teil aufzuheben, fielen darauf Schweißtropfen von meiner Stirn. Die Klamotten klebten am Körper. "Scheiß Gegend!", fluchte ich leise. Warum können die Häfen nicht einfach in den Anden sein, da wo es schön ist?

Reifen am Ende
So sieht ein abgefahrener Reifen aus.


Ein abgefahrener Reifen ist eben abgefahren und nicht in dem Zustand, in dem sich die nagelneuen Dinger befinden, die in Deutschland ausgemustert werden, weil es der Gesetzgeber vorschreibt, wohl ein Abkommen mit den Reifenkartellen, damit diese Geld verdienen. Kartelle hierzulande zwingen die Leute wenigstens nicht, ihr Zeug zu kaufen... Reifenmafia! Ich wundere mich, warum in Deutschland immer noch soviele Unfälle passieren. Vielleicht sind einfach die Leute zu blöd zum Fahren? Warum Idioten in Deutschland immer noch nicht verboten sind? Wahrscheinlich weil die Politiker sich damit selbst verbieten müßten und deswegen funktioniert es schon mal nicht. So blöd sind sie dann auch wieder nicht.

Um halb zwei Nachmittags kamen wir endlich in Barranquilla an. Beim erstbesten Reifentandler hielt ich an. Der befand sich an einer Tankstelle, und es waren viele Leute zugegen, die offensichtlich nicht viel zu tun hatten. In Afrika wäre das nun ein Kampf gewesen, aber hier war alles ok. Keiner nervte, keiner schnorrte, sogar Gabi traute sich aus dem Auto. Ich ließ einen der Reifen, die auf dem Dach waren reparieren, damit wir wieder einen Ersatz hatte. Der Typ sah die übrigen Pneus an und meinte, daß die nicht mehr gut seien. Wenn ein Kolumbianer das sagt, heißt es, daß die Reifen wirklich runter sind. Aber erstens hatte er nicht die passende Größe da, zweitens war ja noch keiner platt. Wenn kein Reifen platt ist, muß man ihn auch nicht auswechseln. Das wäre so, als würde man Medizin nehmen, ohne krank zu sein. Zumindest redete ich mir das ein, weil mich das Reifenwechseln langweilt. Also begnügten wir uns mit der Flickerei des einen Reifens.

Wir fuhren weiter und ich versuchte, irgendwie in den Hafen zu gelangen - den sieht man schon von Weitem. Ich parkte das Auto und ging in eines der Gebäude, einfach nur irgendeinem Gefühl folgend. Ich irrte umher und fragte nach, wo man hier für Verschiffungangelegenheiten zuständig ist. Nach viel Fragen und noch mehr umherirren, kam ich schließlich in ein Büro. Darinnen saß ein Mann mit grauem Anzug, etwa mitte Vierzig. Er fragte, wie er mir weiterhelfen könne. Zum hundertsten Mal erklärte ich irgendwem das Problem. Als ich fertig war, erklärte er, daß hier hauptsächlich Bananendampfer verkehren. Für Gütertransporte müßte ich es in Cartagena probieren. "Aber ich will selber ja auch noch mitfahren. Vielleicht kann man das Auto als offene Ladung auf Deck stellen und mitnehmen. Die Entscheidung darüber liegt beim Kapitän. Aber ich bin durchaus bereit, dafür zu bezahlen, solange es sich nicht um astronomische Summen handelt". Wohin ich denn genau wollte. "Egal. Irgendwo nach Zentralamerika" Er meinte daraufhin, er müsse dazu einen Haufen Anrufe tätigen. Ich solle in ein paar Stunden wiederkommen. Als ich schon fast zur Tür hinauswar, fragte er noch, ob es ein Problem wäre, wenn die Schiffe über Philadelphia oder Kingston führen. "Egal. Je länger sie unterwegs sind, desto besser..." Dann verschwand ich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß es nun langsam klappen müßte. Und wenn nicht, war da immer noch die Fähre.

Reifenwechsel Barranquilla
Der Reifen wird auf Dichtheit geprüft.

Nun hatten wir leerlauf. Weiter konnten wir nicht, da wir die Antwort abwarten mußten, hierbleiben auch nicht, weil es hier nichts mehr zu tun gab, außer Warten, also fuhren wir los, um etwas zu Essen zu besorgen. Das ist immer gut zum überbrücken, wenn man auf etwas wartet. Wir fuhren umeinander und suchten uns etwas, was nach gut und billig aussah. Es ist die falsche Zeit, um selbst zum köcheln anzufangen. Dafür ist in den Büros und Betrieben noch zuviel los. Das kann man abends machen, wenn man ohnehin nichts erledigen kann.
Nach einer halben Stunde waren wir auch schon fertig und ich versuchte, Evergreen zu finden um zu sehen, was bei denen so geht. Da stand auch etwas von Evergreen, aber das Büro selbst war nicht zu finden.
Nach einigem Umherirren fand ich zwar nicht Evergreen, dafür einen anderen Spediteur, bei dem ich auch nachfragte, was er so im Angebot hatte. Leider hatte diese Firma mit Zentralamerika überhaupt nichts zu tun, kam also für uns nicht in Frage. Und wo Evergreen sei, das wußte dort auch keiner.
Als ich wieder zu dem Typen mit den Bananendampfern ging, und nachfragte, sagte er, er hätte leider noch keine definitive Antwort. Ich solle mich morgen wieder melden, dann hätte er eine Antwort. Er hätte mit mehreren Leuten gesprochen, aber die müßten sich ihrerseits erkundigen. Also gut. Das hieß, bis morgen hierbleiben. Wir hätten auch einfach am nächsten Tag anrufen können und jetzt schon nach Cartagena weiterfahren. Aber es hörte sich gut an, und falls hier etwas ginge, müßten wir wieder zurückfahren. Und Cartagena ist sozusagen unsere Rückversicherung. Falls alles Stricke reißen und wir überhaupt nichts finden, dann können wir immer noch die Fähre nehmen.

Wir suchten uns in Barranquilla ein Hotel. Das dauerte eine Weile. Das erste hatte keinen Parkplatz, das zweite kein Zimmer frei, das dritte existierte nicht, das vierte war geschlossen. Das Hotel "Las Palmas" hatte offen, Parkplatz war abgetrennt, aber er mußte nicht separat bezahlt werden und so blieben wir hier. Es war inzwischen Neun Uhr geworden. Noch etwas zu früh zum Schlafen.
Gerade zehn Minuten hielt ich das Geschwätz auf dem Zimmer aus, dann zog ich mir mein Arbeitshemd (also ein Hemd, das noch zerschlissener war als das, das ich sowieso anhatte) an und meldete mich ab, um die 38er zu "entsorgen". Was ich damit vorhätte. "Ich lasse sie verschwinden. Wie, das braucht Dich nicht zu interessieren", sagte ich, verließ das Zimmer und ging zum Auto. Erstmal das Werkzeug heraus. Dann grub ich unter dem Auto ein Loch in den Kies, tat den Müll aus dem Fußraum dort hinein und schüttete dieses wieder zu. Natürlich dachte ich nicht im Traum daran, die 38er da zu vergraben. Warum denn? Weil Gabi etwas schwach im Geiste ist? Ich nahm die Verkleidung im Beifahrer Fußraum ab, zog die 38er samt Holster heraus und suchte in dem Wirrwarr von Kabel und Schläuchen, das sich unter dem Armaturenbrett befindet, einen Platz, wo ich sie unterbringen konnte. Schließlich war sie so gut versteckt, daß man sie nicht sehen konnte. Man mußte wissen, daß sie sich da befand, ansonsten würde man sie nicht finden. Aber für Gabi sollte es so aussehen, also ob sie nun vergraben und vergessen sei. Als das alles erledigt war, schlief ich noch eine Runde, da ich es unter dem Auto gerade so kuschelig warm fand...

Parkplatz in Barranquilla
An einem bewachten Parkplatz in Barranquilla.

Bevor ich zum Hotel zurückging, notierte ich noch die genaue Position: Barranquilla / Kolumbien, Calle 42 y 36, Los Príncipes, C1142 No.39.47, Platz 9. Unter der Verbindung Hosenrohr - Mittelrohr beim Typ W123, europäische Ausführung, 45 cm von der Wand vorwärts eingeparkt. N 10° 58,814'  W 74° 47,067'. Nur für den Fall, daß Gabi Fragen stellen sollte.

Ich schlenderte zurück zum Hotel. "Was hast jetzt gemacht?" "Vergraben! Hab alles genau aufgeschrieben", sagte ich und zeigte ihr die Skizze, damit ich sie nicht umsonst gemalt hatte, "Soll der Cat nächstes Jahr mit raufbringen, wenn er hier vorbeikommt." "Der? Der es nicht mal schafft, eine Nacht allein in Quito zu verbringen?" "Das kann Dir vollkommen wurscht sein. Sie ist weg und damit ist die Sache für Dich erledigt!" "Stimmt, Hauptsache sie ist weg." Diese Diskussion war somit beendet. Die meisten Frauen sind so. Hauptsache es wird geredet und geredet. Das Problem ist beseitigt, an den Tatsachen hat sich überhaupt nichts geändert. Ich hatte die Pistole nicht aus dem Auto, sondern nur aus Gabis Kopf entfernt. Und beides ist gleichermaßen anstrengend gewesen.

Wir zogen noch los, in der Hoffnung, etwas zu Essen zu finden. Die Stadt war ziemlich tot. Nur hier und da war noch die eine oder andere Bar offen. Diese typischen südamerikanischen Bars: Halb offen, Plastikstühle und -tische und Neonröhren-Overkill, in denen um diese Uhrzeit Besoffene herumlungern und ihr Erschnorrtes versaufen. Wir zogen es vor, an einem dieser Kärren, die man hier und dort noch fand, einen Burger zu ordern. An einer Ecke stand noch einer, der den Betrieb noch nicht eingestellt hatte. Ich ging hin, fragte nach, was so geboten sei und bestellte dann Burger für uns beide. "Wollt Ihr Euch nicht hinsetzen?", fragte der Typ, "Das wird eine Weile dauern." OK, sagte ich und setzte mich. "Dauert das länger?", fragte Gabi. "Ja. Sätzen Sä säch!" "Wie lange denn?" "Sä sollen säch sätzen..." Ich ließ mich jedenfalls nieder. Was weiß ich, wie lange es dauert... Wahrscheinlich, bis es fertig ist, nehme ich an. Vielleicht auch ein bißchen länger. Ich hatte aber keinen Bock, mich über die blöde Fragerei aufzuregen. Mir doch egal. Wenn es ihr zu lange dauert, soll sie ins Hotel gehen und ich bringe ihr das Essen auf das Zimmer. Aber der Vorschlag gefiel ihr nicht, denn dann müßte sie ja alleine zurücklaufen. Und, daß ich Orientierungsidiot den Weg zum Hotel alleine finden würde, glaubte keiner von uns. So setzte sie sich. Sie brachte es tatsächlich fertig, zu warten, bis das Essen fertig war, und zwar ohne zu meckern, oder zu erzählen, was der Typ alles hätte tun können, um den Vorgang zu beschleunigen. Das war ja schon mal was. Aber das als Fortschritt zu werten wäre schon wieder übertrieben gewesen. Diese Hoffnung hatte ich mittlerweile längst aufgegeben. Als wir dann unsere Burger bekamen und ich die ersten paar Bissen genüßlich hinuntergeschlungen hatte, sammelten sich am Ende des Blocks Straßenköter und bewegten sich in unsere Richtung. Und da ich keinen Bock darauf hatte, stand ich auf und tat so, als würde ich etwas werfen. Die Köter gingen woanders hin. "Jetzt hör halt endlich auf mit dem Scheiß!", ging das Gemecker los. Aber wären die Köter zu uns gekommen, wäre das gemecker ja auch losgegangen. Das macht es einfach: Gemeckert wird sowieso, egal was man macht, also macht man das, was für einen selbst am angenehmsten ist und lebt mit dem Gemecker. Das bringt einen auch nicht um. Aber es nervt, ständig gemaßregelt zu werden wegen nichts und wieder nichts. Das Motto dieser Fahrt stand schon lange fest: "Meine Armut kotzt mich an!" - wobei hier nicht meine geistige Armut gemeint ist. Mit der kann ich leben, die stört nicht.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold