Panamericana-Tour 2002
Freitag, 23. August

Der Gedanke, das Auto umzuparken, half schlaftechnisch gar nichts. Ich wachte um Acht auf, weil Gabi mich weckte. Sie konnte wegen des großen Lärms nicht mehr schlafen. "Welcher Lärm?", wollte ich schon fragen, aber ich ließ es. Wahrscheinlich meinte sie die LKW, die in den Hafen fuhren. Lärm... Das sind gute Dieselmotoren. Ich zog mich an, putzte mir die Zähne, hieß Gabi beim Auto bleiben, und zog dann los.

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag...

Erst mal zum Hauptgebäude vor dem Hafen. Ich ging hinein, und erklärte mein Vorhaben wahrheitsgemäß. Ich wollte in den Hafen hinein, um ein Schiff zu finden, das uns nach Zentralamerika mitnimmt, die Zusage vom Kapitän einholen, und mich erst dann mit der Reederei in Verbindung setzen. Das schien mir einfacher, als der umgekehrte Weg zu sein. Die Frau hinter dem Tresen meinte, sie könnte da nichts machen. Ich dürfte nicht in den Hafen hinein, wenn ich kein Spediteur wäre. Neben mir stand ein Mann, der mich fragte, was ich denn im Hafen wollte. Ich erklärte es ihm, auch wenn ich sicher war, daß er es eh schon wußte - er hatte ja die ganze Zeit danebengestanden. Er wandte sich an die Dame hinter dem Tresen und bat sie um ein Permiso. Sie gab es ihm. Der hatte anscheinend etwas zu sagen - dabei sah er gar nicht so aus - im Gegenteil. Ich dachte, er wär auch nur irgendein Hans Wurscht, der irgendwas haben will. Er stellte mir eine Genehmigung aus, die für den heutigen Tag galt. Ich sollte sie bei der Ausfahrt dem Wachmann aushändigen. Geil! Na, wer sagt's denn. Das ist schon mal ein Erfolg. Jetzt mußte ich keine Wachen mit Cola und Münzen bestechen und das Auto durfte sogar auch mit.

Schnell zurück zum Auto und los, hinein in den Hafen. Zwar sah mich der Wächter etwas seltsam an, aber der Wisch funktionierte. Er ließ uns passieren. Noch eine Schleuse, auch hier gab es keine Probleme. Nicht mal das Auto wurde durchsucht. Wir waren drin! Ich fuhr auf und ab, sah mir die Schiffe an. Häfen sind eine fett romantische Angelegenheit, finde ich. Ich mag sie gerne, das sind die Tore zur weiten Welt, da gerät man leicht ins träumen. "Ja, Schiffe, die fahren, stolz und groß, im Abendsonnenschein..." Aber Gabi rief mich gleich in die Wirklichkeit zurück indem sie fragte, was nun als nächstes auf dem Plan stand. "Plan? Wußte gar nicht, daß es so einen gibt..." Ich suchte mir das erste Schiff und parkte in dezentem Abstand, um nicht irgendwelchen LKW oder Kränen im Weg zu stehen, dann ging ich hin, die Treppe hinauf, und bat darum, beim Kapitän oder bei einem Offizier vorsprechen zu dürfen. Leider war kein Offizier in der Nähe, nur Mannschaften. Das Problem bei solchen Sachen kennt man ja zur Genüge, es ist auf der ganzen Welt gleich: Die Untergebenen sind immer eine Nummer wichtiger als ihre Vorgesetzten - zumindest tun sie so. "Schlimmer als der Kapitalist ist sein Knecht, und schlimmer als sein Knecht, ist sein Hund, denn der beißt", besagt ein altes Sprichwort. Immer diese kleinen 150%igen. Von denen wurde ich natürlich sofort abgewiesen. Das Schiff fährt zwar nach Panama, aber Passagiere mitnehmen, das geht sowieso nicht. Was anderes würde mir der Kapitän auch nicht sagen können. Da mochte er vielleicht sogar recht haben. Aber sagt der Kapitän nein, dann ist es eine Entscheidung, sagt der Kasperl-Maat hier, daß es nicht geht, heißt das noch lange nichts. Sein Beitrag bleibt allenfalls eine Vermutung...

Im Hafen von Guayaquil.
"Schwer mit den Schätzen des Orients beladen..."

Das Problem war, daß man als dreckiger Zivilist auch an dem kleinen Maat nicht vorbeikommt. Ich sah mich um, konnte aber auch keinen Offizier an Deck ausmachen. Wäre der da, und man würde sich direkt an ihn wenden, dann könnte man den Maat überspringen. Ich mußte also wieder hinunter auf den Hafen und hoffen, daß sich dort ein Offizier zeigte. Hätte ich nun die Almut als Beifahrerin, könnte ich sie als Hafengeländebeobachter einspannen. Bei Gabi funktioniert das nicht, weil alles in Grundsatzdiskussionen endet. Einfach alles. Die will wieder wissen, wieso, warum, wozu und wieso nicht anders, und da muß es doch einen offiziellen Weg geben. "Schließlich ist das ja in Deutschland nicht anders..." Und darauf hatte ich keinen Bock, also ließ ich es bleiben und ging zum nächsten Schiff.

Hier war nun ein Offizier an Deck, an den ich mich gleich wandte. Er war aus Indien. Ich fragte ihn nach dem Wohin, und die Antwort war Amsterdam. Das ist nun vollkommen verkehrt. "Aber ihr müßt doch durch den Kanal, oder? Wird da kein Halt in Panama gemacht?", fragte ich. Da muß nämlich meine Fracht hin. "Nein, wir halten da nicht, sondern fahren bloß durch. Und Fracht können wir hier sowieso nicht annehmen, wer hat Dir denn das erzählt? Da mußt Du Dich an die Speditionen wenden", sagte er ganz erstaunt. Ich erklärte es ihm, daß es nicht nur um die Fracht ginge, sondern, daß wir selbst auch mitfahren wollten - natürlich gegen Bezahlung - und daß alle Navieras sagten, das ginge nicht. Deshalb wollte ich das Pferd von hinten aufzäumen - so ähnlich hatte es schließlich schon mal funktioniert...

Auch am dritten Schiff war das Ergebnis ähnlich wie beim ersten. Zwar traf ich hier einen Offizier an, das Schiff fuhr nach Panama, hielt dort auch, aber leider würden sie in wenigen Stunden auslaufen. Keine Chance, auch nur die Papiere noch zu erledigen, selbst wenn alles reibungslos hinhaut... Geschweige denn Verladen. Ich ging wieder hinunter. Weiter. Es dauerte nicht lang, da fiel mir auf, daß ich weiterlaufen konnte, soviel ich wollte. Alle Anlegeplätze waren leer. Toll. Drei Schiffe in dem riesigen Hafen. Ich war kurz vorm Kotzen. Was ist denn hier los? Warum geht hier nichts? Und warum komme ich ausgerechnet dann in den hafen, wenn kein Schiff da ist? Langsam wäre es an der Zeit, daß mal etwas hinhaut...

Zurück zum Auto. "Und?", wollte Gabi wissen. "Beim ersten kein Offizier, beim zweiten falscher Einlaufhafen, beim Dritten sind wir zu spät dran", war mein knapper Bericht. Ich fuhr noch einige Male hin und her, in der Hoffnung, daß sich irgendwas täte. Irgend eine Idee, ein Schiff am Horizont, meinetwegen auch ein Wunder, egal, ich nehm alles was kommt. Aber es kam nichts. So schnell würden wir in diesen Hafen nicht mehr hineinkommen... Das war eh schon ein sagenhaftes Glück, daß ausgerechnet der Typ da stand. Man kann in solchen Situationen auch gewisse Genehmigungen bekommen, wenn man weiblichen Charme einsetzt. Gerade bei den südamerikanischen Machos erreicht man damit einiges, denn bei einer Frau müssen sie gleich zeigen, was sie für weitreichende Kompetenzen haben. Dafür fehlte mir bei dieser Tour allerdings die entsprechende Ausrüstung. Almut wäre dazu durchaus geeignet, obwohl sie das ungerne macht. Aber da muß man sie eben überzeugen. Bei Gabi half das nicht, ich unternahm gar nicht den Versuch. Mit Charme brauchen wir da nicht anfangen. Da hab ich noch mehr, obwohl man mir da schwere Defizite nachsagt... Und Gabi ist hier Ihrer Hauptwaffe beraubt. Ihr Mundwerk hilft ihr hier, wo keiner Deutsch spricht, überhaupt nichts. Das wußte sie auch, das merkte man. Die Sicherheit, die sie in der vertrauten Umgebung ausstrahlt, fehlte hier vollkommen. Unsicher, ängstlich, wenn einer daherkommt, bei dem sie Shokoriegel gekauft hat, und einfach bloß sein Geld will, dann sitzt sie bebend auf dem Beifahrersitz, starrt nach vorn und bringt nicht viel mehr raus als "Verpiß Dich, Alter. Fahr zu..." Und obwohl wir nun schon einige Wochen unterwegs waren, schien das nur schwer aus ihr herauszubekommen zu sein. Ich weiß nicht, woran es liegt. Ist doch alles cool, tut uns doch keiner was... Aber dadurch mußte ich hier alles im Alleingang machen. Gerade im Hafen wäre es nützlich, wenn wir zu zweit operieren könnten. Ich habe es nicht ausprobiert, wahrscheinlich hätte sie sogar auch etwas gemacht, vielleicht auch nicht. Ich traute es ihr einfach nicht zu. Die ganze Fahrt glich sowieso immer mehr einer TUI-Veranstaltung. Sie zahlt und ich sorge für's Programm. Ist ja auch in gewisser Weise berechtigt und immer noch billiger als Rotel-Tours, aber eben auch wesentlich planloser.

Als wir wieder, mangels Alternative, den Hafen verließen, sah ich einen Land-Rover mit ausländischem Kennzeichen. Ich fuhr langsamer und besah mir den genauer. Erst hielt ich sie für Europäer, Spanier, vielleicht. Aber als wir näherkamen, erkannte ich das Kennzeichen: Brasilien. Ich stieg aus und begrüßte den Typen am Steuer - das fällt mir komischerweise bei Brasilianern gar nicht schwer, bei Deutschen überlege ich immer fünf mal und beobachte sie erst eine Weile. In den meisten Fällen lasse ich es bleiben. Bei Brasilianern kein Problem, da gehört man fast schon zur Familie, hat man oft den Eindruck. Weiß nicht, woran das liegt. Klar. Die Deutschen sind einfach Scheiße. Aber das sind die Brasilianer doch genauso... Es war ein fast noch junges Pärchen aus Rio auf dem Weg in die USA. Sie erkannten bereits nach wenigen Worten, daß ich irgendwo aus São Paulo sein mußte. Doch das Kennzeichen konnten sie nicht einordnen. Ich erklärte alles, wie es kam und was geschah, daß ich gar kein richtiger Brasilianer bin, sondern eigentlich Deutscher, ich hätte nur meine Kindheit in Brasilien verbracht. Wir kamen ins Gespräch. Er hatte im Laufe der Reisevorbereitungen einen Artikel gelesen von einem Deutschen, der von Deutschland über Afrika nach Brasilien gefahren sei und im Hafen von Santos soviel Probleme gehabt hätte. "In welcher Zeitung war das?", fragte ich. "Irgendso ein Blatt, aus Deiner Gegend, da... Staat São Paulo... War auch im Internet monatelang... Und der Typ sah so ähnlich aus, wie Du, nur hatte er keine langen Haare, aber auch so eine typisch deutsche Mütze." "Das war ich... Das Interview hatten damals ein paar Kumpels von mir im Rahmen irgendeiner Arbeit gemacht." Und dann mußte ich natürlich noch mehr erzählen.

Von Rio nach Miami unterwegs...

Er hatte kürzlich in den USA eine Anstellung bekommen und der Umzug war unterwegs, da haben sie beschlossen, das Auto nicht zu verschiffen, sondern es hinaufzufahren. Ich hatte den Eindruck, daß ich ihnen etwas von ihrer Angst gegenüber der kommenden Strecke nehmen konnte. Diese Angst war auch der Grund, warum sie nicht über Kolumbien fuhren. Ich mußte sie auslachen. "Ihr wohnt in Rio, und traut Euch nicht nach Kolumbien? Das ist ja witzig..."  "Du lachst da, aber in Rio kennen wir uns aus, und wir ziehen nicht nur deswegen in die USA, weil man dort besser verdient. Rio ist eine Drecksstadt, aber wir haben keinen Bock, uns, weil wir aus Rio weg wollen, in Kolumbien erschießen zu lassen. Da braucht man sich bloß man verfahren und ins falsche Eck geraten...", sagte sie. "Einfach nicht nach Geld ausschauen. Ohne Grund erschießt Euch schon keiner. Ich würde ja zu gern nach Kolumbien. Wenn alle davon abraten, ist es bestimmt ein Geheimtipp. Aber ich hab da so 'ne paranoide Deutsche dabei..." Gabi saß die ganze Zeit über im Auto. "Warum stellst Du sie uns nicht vor?" Weil sie eben paranoid ist, und vor Euch wahrscheinlich Angst hat, nehme ich an...

Ich hoffte, wir könnten uns zusammentun mit der Verschifferei, vielleicht zusammen einen Container nehmen, damit es billiger würde. Aber leider hatten sie schon einen 20-Fuß-Container bezahlt. Da ist nur Platz für ein Auto. Morgen sollte es losgehen nach Panama, sie waren mit dem Aufladen beschäftigt. Schade. Die beiden waren witzig. Und außergewöhnlich ist es, daß man überhaupt Brasilianer trifft, die auf diese Weise unterwegs sind. Normalerweise trifft man sie höchstens mal in Buenos Aires beim "Shoppen", und das auch nur, wenn der Kurs argentinische MickyMaus zu brasilianischer MickyMaus gut steht... Ich verabschiedete mich, stieg ein und fuhr weiter. Sie hatten 1500 US$ für die Verschiffung gezahlt. Eine Menge Geld. Aber mir schwand auch langsam jede Hoffnung dahin, irgendetwas Passendes zu finden.

Die letzte Idee, die mir blieb war, Gabi davon zu überzeugen, mir freundlichst die Erlaubnis zu erteilen, doch nach Kolumbien zu fahren. Dort mußten die Chancen besser sein. Allein schon deswegen, weil wir hier nicht vom Fleck kamen. Es ging nicht weiter, wir bewegten uns im Kreis. Schlechter als hier, konnte es in Kolumbien icht sein, was die Verschiffung angeht. Wir fuhren nach außerhalb des Zentrums, wo die Navieras meistens ihren Sitz haben. Mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden, daß aus dem Mitfahren wohl nichts werden würde. Es ging nur noch darum, den besten Tarif zu finden. Ich telephonierte stundenlang. Zu Evergreen, zu Mærsk... Zu Mærsk fuhren wir sogar hin. Ich sprach wieder mit demselben Typen, wie vor einigen Tagen, bloß war mittlerweile der Preis auf 1.500 angestiegen. Das verstand Gabi wieder nicht. Dabei gab's nicht viel zu verstehen: Er hatte wohl gemerkt, daß ich doch nichts anderes gefunden hatte und ist einfach mit dem Preis hochgegangen. Wer will's ihm verbieten?

Und stünde ich wieder am Anfang...

Nach dieser ergebnislosen Odyssee fuhren wir wieder in das Zentrum, um Reisbüros abzuklappern, was die Flugtarife anging. Die waren auch nicht gerade billig. Alles in allem, kam man unter 2.000 US$ nicht nach Zentralamerika, wobei hier die drüben anfallenden Hafengebühren noch nicht inbegriffen waren. Und das alles nur, weil 84 km Straße fehlen. Da haben sicher wieder die Amis ihre Drecksfinger im Spiel!

Abends um halb Sieben wieder zu Malecón ins Internet. Und in der Mailbox wieder nur Preise vorgefunden für Containerverschiffungen. Alles so zwischen 1.200 und 1.700 US$, abhängig vom Einlaufhafen. Das ist genausogut, als hätten sie gar nichts... Nun gab ich die Idee mit der Seefahrt endgültig auf. Es war einfach nichts zu machen. Die Fähre, von der ich gelesen hatte, von der auch einige Touristen damals auf Feuerland erzählt hatte, die von Panama nach Manta ging, die gab es tatsächlich, allerdings fuhren diese Fähren von Panama nach Ecuador, von hier dann weiter nach Süden, Peru, Chile, um das Kap, Argentinien und über Brasilien und Venezuela zurück nach Panama. Kam nicht in Frage, das dauert monatelang, das geht so nicht. Witzig wäre es zwar, aber leider nicht machbar.

Guayaquil - Markt
In den Straßen von Guayaquil...

Heute vor einer Woche waren wir hier angekommen. Damals hegte ich noch große Hoffnung, daß sich spätestens hier die Verschiffungsfrage klären müßte. Das tat sie nicht. Im Gegenteil, sie hat sich wesentlich verkompliziert. Es war überhaupt nicht mehr klar, ob wir überhaupt nach Zentralamerika kommen würden. Da steh ich nun, ich armer Tor und bin so klug, als wie zuvor...

Um neun Uhr (km 749.625) liefen wir eine Texaco an, um dort zu übernachten. Was nun? Wo hin vor lauter Möglichkeiten. Nun war Wochenende, da geht sowieso nichts. Hier in Guayaquil hatten wir bereits das meiste abgegrast. Vielleicht gab es noch Möglichkeiten, von denen wir aber nichts wußten. Aber wie stand es mit Manta? Dort legen doch die Fähren aus Panama an. Vielleicht geht da was. Abgesehen davon war Manta viel kleiner und man konnte es sich über das Wochenende immerhin einmal ansehen, um zu entscheiden, ob es sich lohnt, am Montag dort loszulegen, oder ob wir am Sonntag abend wieder hierher zurückfahren sollten. Im Laufe des Abends, den wir mit Kost aus der Bordküche beendeten, beschlossen wir, morgen früh nach Manta aufzubrechen.


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