Panamericana-Tour 2002
Mittwoch, 21. August

Seit zwei Jahren und 110.000 Kilometern unterwegs.

Das Schlafen war für mich auch mit gewissen Umständen verbunden. Gabi schlief, wie immer, auf der Rückbank. Der Innenraum war Mückenfrei. Wenn nicht, dann ist er schnell Mückenfrei zu kriegen. Während also Gabi innen noch ein paar Mücken erschlug, wobei das ganze Auto wie ein Boot bei schwerem Seegang schlingerte und stampfte, richtete ich mein Lager her. Es war heiß, also konnte ich mich nicht mit dem Schlafsack zudecken. Das Mosquito-Netz mußte her und es mußte aufgebaut werden. Nur wie? Erstmal die Isomatte auf die Bleche, dann ein Teil des Netzes. Darauf die Decken und den Schlafsack. Nun mußte ich auf irgendeine gescheite Weise das Netz so über mich zu legen, daß es aber möglichst viel Abstand zu mir hatte. Ich stellte die Stiefel auf die Kanister, befestigte die beiden Spaten so am Gepäckträger, daß die Stiele nach oben abstanden. Den einen Spaten am Fußende, den anderen am Kopfende. Fertig war der Laden. Not macht erfinderisch. Die Idee hätte mir schon in Afrika kommen können, das hätte mir einige Mückenstiche erspart. Aber damals war ich nicht für das Denken zuständig. Den Rest des Netzes stopfte ich einfach unter die Decken, deckte mich mit dem Handtuch zu und normalerweise wäre jetzt die letzte Cigarette fällig gewesen. Ich verzichtete aber darauf, da zugroße Maschen die Funktionalität eines solchen Netzes schwer beeinträchtigen.
Das Surren klang in meinen Ohren nun wie ein Wutgeheul. Ab und zu hob sich über mir ein kleiner dunkler Schatten gegen den etwas helleren Nachthimel ab. Eine Mücke, die auf dem Netz saß. Die etwas größeren Schatten, die hoch droben in dunkelblauen Weiten, Manöver vollführten, auf die Richthofen neidisch gewesen wäre, stammten von Fledermäusen, die sich auf die Mücken stürzten. Faszinierende Viecher, diese Fledermäuse. Asdic, Ortungssystem, Ultraschall. Ab und zu schoß einer dieser Schatten wenige Zentimeter über dem Netz vobei. Manchmal, wenn es ganz still war, bildete ich mir ein, ein leises "Ping" zu hören. Wahrscheinlich wirklich nur Einbildung, aber hatte was, wie sie da mit Vollast auf ein Hindernis zusteuern und im letzten Moment steil in die Höhe schießen, nur um im nächsten Augenblick wieder in den Sturzflug überzugehen.

Als ich am morgen wach wurde, war es leicht bedeckt. Ich stand auf, baute das Bett ab. Als ich zum Wasserhahn ging, war alles friedlich. Ein paar Fliegen waren da, aber das war es auch schon wieder. Keine Spur von Mücken. Wo die sich wohl verstecken? Jetzt sollen sie herkommen, dann klatsch ich sie weg! Trauen sich wohl nicht.
Wir mußten zusehen, daß wir langsam in die Gänge kamen. Ein Schiff mußte her und immer noch hatte ich keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Wir fuhren in die Stadtmitte. Und wieder kam mir die Erinnerung an Abidjan, wenn man von Dö Platoh ins Zentrum fuhr über die große Straße. Und immer wieder Busse. Fast jeder von ihnen hatte ein persönliches Motto auf deas Heck gepinselt.

"Es ist schlecht, schlecht zu sein,
Aber noch schlechter ist es, gut zu sein..."

Hier machte es mir auch nichts aus, im Stau zu stehen. Sowenig es mich damals in Abidjan störte. Während man steht gibt es jede Menge zu beobachten. Angenehmer war hier auf jeden Fall die Sprache. Kein schwules französisch, sondern verständliches, klares Spanisch. Guayaquil gefiel mir auch auf jeden Fall besser als Quito. Es war einfach mehr los. Auf der anderen Seite kann ich mir auch gut vorstellen, daß für den Flugtouristen Quito interessanter ist. Ohne Auto würde ich Guayaquil wahrscheinlich hassen. Guayaquil ist eine Industriestadt, die eigentliche Hauptstadt, wenn man so will, während man Quito als ein etwas größeres und auch zivilisierteres Yamassoukro bezeichnen könnte. Aber das sind nur meine eigenen Vergleiche und Mutmaßungen. Am besten, man sieht es sich einfach selbst an.

Die erste Anlaufstelle war natürlich die Shopping-Mall am Wasser. Das Auto kam ins Parkhaus und wir gingen hinein und ich steuerte ins Internet-Café in der Hoffnung, daß schon die eine oder andere Antwort da wäre. Vereinzelt tröpfelten sie auch herein. Aber nicht viel Spannendes. Drei oder vier eMails waren da. Eine Absage, drei Angebote, die alle so um die 1.200 bis 1.500US$ lagen. Alle drei Navieras waren aus Equador. Von den Kolumbianern keine Antwort. Passagiere nahm jedoch keiner von den dreien mit. Alle verwiesen auf den Luftweg. Aber das kam überhaupt nicht in Frage. Wir werden mit dem Schiff fahren.

Ich suchte noch weiter im Internet nach Navieras in Guayaquil. Ich schrieb mir möglichst viele Telephonnummern ins Kraftfahrtagebuch und wir gingen los. Eine Telephonkarte nach der anderen wurde vertelephoniert. Zwei oder drei Termine wären schon ein großer Erfolg. Der Text war auch immer der gleiche. Erst die Frage ob jemand Englisch spricht. Da kann ich mich leichter artikulieren. Und fast jeder konnte gutes Englisch. Kein Vergleich zu den Dorftrotteln und Buschaffen in Brasilien. Die können ja gar keine Sprache. Nicht mal Spanisch. Für diesen Tag bekam ich einen Termin am Morgen, einen am Nachmittag und eine andere Naviera sagte, ich solle einfach vorbeikommen. Lieber persönlich einmarschieren, das ist immer besser. Der Schnitt für heute war recht gut. Und mehr als drei oder vier Termine schafft man an einem Tag eh nicht. Wir hatten natürlich keinen Stadtplan, was das Finden der einzelnen Ziele nicht gerade erleichterte. Man mußte sich halt eben durchfragen. Ging schon immer irgendwie, kostet aber Zeit. Die erste Naviera war die Maersk. Das sind die größten, vielleicht haben die was für uns. Das Auto auf dem Firmenparkplatz irgendwo abgestellt und los geht's. Ich mußte gar nicht lange warten, man bat mich in das Büro in dem ein Bürohengst saß. Er dürfte wohl so in meinem Alter gewesen sein. Mit Anzug und Kravatte saß er hinter Bergen von Papier. Ihm gegenüber saß ich mit meinem zerfetzten und ölverschmierten Hemd, kam mir fast ein wenig schäbig vor. Passierte mir z.B. in Brasilien nie. Die konnten im feinsten Armani-Zwirn dasitzen und noch soviel Kohle haben, für mich waren es nur verkleidete Affen. Hier entschuldigte ich mich für mein Aussehen, legte ihm mein Anliegen dar, woraufhin er zum Hörer griff und es weitergab. Verschiffung kein Problem, 1.500 US$. Selber mitfahren großes Problem, auch mit Geld nicht zu regeln. Ich erklärte ihm, daß ich meinte, daß ich bereit wäre ganz offiziell dafür zu bezahlen. Er versprach, sich bis übermorgen zu erkundigen. Im Auto mußte ich berichten, wie es war. Ich sagte Gabi, daß er sich darum kümmern würde, daß wir ein Schiff bekommen. Natürlich stimmte das so nicht, aber wenn ich ihr genau erzählt hätte, was war, nämlich, daß wir keinen Schritt weiter sind als zuvor, dann würde wieder diskutiert werden müssen, und darauf hatte ich, wie gesagt, keine Lust.

Auf einer Halballee in Guayaquil.

Wir fuhren zur zweiten Naviera. Es war schon neun Uhr in der Früh. Wir fanden sie auch ohne großes suchen. Navigieren konnte Gabi gut. Ich wollte auf den Parkplatz fahren, aber ein Wächter kam aus seinem Häusl und sagte mir, der sei nur für Mitarbeiter und es gäbe keinen Kundenparkplatz - warum auch? Ich könne mich aber gleich neben der Einfahrt auf die Straße stellen. War auch nicht viel weiter weg und da Gabi im Auto blieb, war es vor Dieben sicher. Ich fuhr also rückwärts und der Parkplatzwächter gab mir ein Zeichen, daß ich noch weiterfahren könnte. "Ja, Alter, ist ja gut... Daß sich die Leute hier immer in Sachen einmischen müssen, die sie überhaupt nichts angehen!", hörte man Gabi zischen. "Wer denn? Wo denn?", fragte ich und sah mich nach allen Seiten um. Die einzigen Leute weit und breit waren der Parkplatzwäckter und einer mit dem dieser sich unterhielt. Und ich verstand erst nicht, was sie meinte. "Der Depp, der braucht sich nicht darum kümmern, wie Du einparkst, das wirst Du doch wohl selber können", war die Aussage, die sie tätigen wollte, wie ich so nach und nach herausfand. Ich fand das nett von ihm, daß er mich einwies. Einparken kann ich zwar, aber es ist bequemer, wenn man nicht selber schauen muß. Und wenn ich meine, ich bräuchte ihn nicht, dann brauche ich ihn ja nicht anzuschauen und er kann mit dem Arm wedeln, solange er mag. So sehe ich das. Ich fühlte mich in keinster Weise in meinem Tun behindert, noch merkte ich, daß sich jemand in meine Angelegenheiten mischte. Außer Gabi, und zwar ständig. Sie weist nicht ein, sie parkt nicht ein, sie ist von nichts betroffen. Weiß nicht, wo sie die Verbindung herzieht, oder wodurch sie sich angesprochen gefühlt hat. Mischt sich da in meine Einparkerei ein und merkt's nicht mal...

Was mich selbt aber viel mehr erstaunte war, daß ich all die Jahre überhaupt nicht den geringsten Plan hatte, wes Geistes Kind Frl. Gabi Z. L. war. Vermutlich war ich einfach schon zu lange in Südamerika, um noch Verständnis für Deutsche "Denk"-Weisen aufzubringen. Die gingen mir in Deutschland schon gewaltig auf die Mütze. Irgendeiner von uns beiden hatte eine verschobene Vorstellung von der Welt, und ich war mir gerade nicht sicher, wer. Daß so eine Aussage gerade von einer kommt, die in einem Land wohnt, in dem 90% der Bevölkerung aus Hilfs-Sheriffs, inoffiziellen Mitarbeitern von Stasi West und ganz ordinären Denunzianten bestehen, die im Leben noch nie etwas anderes taten noch tun werden, als sich in anderer Leute Leben einzumischen, weil sie kein eigenes Leben haben, das war es wohl, was mich am Meisten irritierte an der ganzen Sache, die für sich allein betrachtet überhaupt nicht erwähnenswert ist.

Und mitten in Equador kommt dann eine, die in einem Denunziantenstaat lebt, und zwar gerne dort lebt, und erzählt hier etwas von wegen hier in Equador würde sich jeder in das Leben anderer Leute einmischen. Eine Gehirnwäsche kann es nicht gewesen sein, schon alleine deshalb, weil dazu ein Gehirn nötig ist. Sowas regt mich auf... Wenn sie wenigstens aussehen würde wie ein Model, dann würde ich mir den Stuß gerne länger anhören, "quod licet Veneri non licet bovi". Rindvieh trifft es schon ganz gut, aber ich merke schon seit langem, daß hier einfach eine böswillige Verwechslung vorliegt. Ich muß wohl mal gesagt oder zu laut gedacht haben, daß ich mir eine Beifahrerin wünsche, die der Venus gleicht. Man schickte mir die Gabi. Ihre Form, ihr Verstand und ihr Charakter erinnern tatsächlich sehr stark an Venus. Doch ich meinte natürlich die "Göttin der Liebe und der vollendeten Schönheit" und nicht den gleichnamigen Planeten, der rund und dumm auf vorgeschriebener Bahn durch den Äther schwirrt.

Aber was soll's. Das konnte ich hic et nunc nicht ändern. Ich tröstete mich damit, daß Gabi wenigstens zur Abschreckung von Autoknackern wesentlich besser geeignet ist als Madame Venus. Ich hatte auch keine Lust, das Diskutieren anzufangen - hat ja doch keinen Sinn, da sie ja sowieso immer Recht hat, da hat man oft mit Logik nicht die Spur einer Chance. Sie kapiert es eh nicht. Da gehört eine Roßkur durchgezogen. Kolumbien wäre was. Da würde selbst sie es spätestens kapieren. Als ich auf dem Weg in das Gebäude war, da kamen mir zwei Leute entgegen, die man schon von weitem als Touristen erkannte. Auto- oder Motorradtouristen, sonst wären sie nicht hier.

Légere Kleidung, Rucksack, Papiere in der Hand - wie leicht ist der Tourist erkannt.

Ich ging auf sie zu und begrüßte sie mit "Grüß Gott! Wohin des Wegs?". Sie kamen gerade aus Panama, erledigen hier den Papierkrieg für die Autos, die wohl noch im Hafen stecken. Das stelle ich mir hier wesentlich angenehmer vor als in Brasilien. Hier scheint alles soweit zu funktionieren. Zumindest war das mein Eindruck. Equador hat sich überhaupt bisher als ein sehr nettes Land gezeigt. Alles, worüber man sich ärgern will sind am Ende doch nur Kleinigkeiten und man vergißt sie schon bald wieder. Ich fragte nach, mit welcher Gesellschaft sie gefahren seien, ob die gut sei, wünschte Ihnen viel Spaß beim Papierkrieg. Dann unterhielten wir uns noch kurz über Panama, das Land in das wir wollten und Equador, das Land, das vor ihnen lag. Das ist immer die beste und einfachste Art, sich auf die vor einen liegende Strecke vorzubereiten.

Dann begab ich mich zum Büro, das irgendwo in diesem Hochhaus war. Das Hochhaus sah von außen sehr ansehnlich aus, von innen aber machte es auf mich einen nicht ganz fertigen Eindruck. Geschäftsleute und Handwerker eilten oder irrten auf Estrich umher. Eine Dame an der Information, die kaum über den Tresen schauen konnte, weil sie so klein war, versuchte, den Leuten zu erklären, wo sie hinmüssen. Auch mir erklärte sie, wo ich hingehen sollte. Ich folgte den Anweisungen und fand mich kurze Zeit später im Wartezimmer eines Büros wieder. Dort saß ich da und harrte der Dinge, die man mir da erzählen würde.

Nach einigen Minuten kam endlich eine Mitarbeiterin und bat mich in das eigentliche Büro hinein. Ich trug meinen Text mittlerweile schon fast mechanisch vor. Man machte mir ein Angebot für eine Container-Verschiffung, das so um die 1.000 Dollar lag und damit viel zu teuer war. Außerdem wollte ich keine Container-Verschiffung, sondern ich wollte, daß das Auto als offene Ladung an Deck transportiert wird. Bulkbreak oder free-on-deck-stowage hieß das wohl, wie man mir hier erklärte. Und zusätzlich wollte ich natürlich, wie damals in Afrika, selber mitfahren. Meinethalben auf irgendeinem Bananendampfer oder Ähnlichem und als Zigeuner Verkleidet. Aber das ging schon mal gar nicht. Die einzige Möglichkeit war, das Auto in einen Container zu stopfen. "Wenn es gar nicht anders geht, OK. Aber ich will auch mitfahren auf dem Schiff." Er sah mich ratlos an, er wußte gar nicht, daß das geht. Ich erklärte ihm alles, von der Absprache mit der Reederei und dem Käpt'n bis hin zur Letter of Indemnity. Er telephonierte kurz, erklärte alles, war ich ihm zuvor erklärt hatte, dem- oder derjenigen am anderen Ende, verließ kurz darauf den Raum mit dem Hinweis, daß er gleich zurück sei. Ich wartete und genoß die kühle Luft der Klimaanlage. Nach einigen Minuten kam er zurück. Nichts geht. Das Auto können sie verschiffen, aber nicht offen, und Passagiere schon gar nicht. Ich fand meinen Weg durch das Gewirr der Gänge zurück ins Freie. Zwar kam ich an einer ganz anderen Stelle aus dem Gebäude, aber es war rund und daher konnte ich mich nicht groß verlaufen. Ich fand das Auto wieder, stieg ein, fuhr los.

Im KTB sah ich nach, was als nächstes anliegt: Einen Termin am Nachmittag um 14 Uhr. Bis dahin sollten wir noch ein paar andere Navieras finden und kontaktieren, Gabi sollte derweil mal schauen, was mit dieser Tanja denn nun los ist. "Kommt sie nun oder nicht?", wollte ich immer wieder wissen. Das wäre ein Segen. Die könnte mir meinen Rechner mitbringen und die Gabi wäre dann beschäftigt, so daß ich mich auf das Reisen und Genießen verlegen könnte, statt dauernd eine um die Ohren zu haben, die nichts allein machen kann, außer Streß. Davon aber zum Ausgleich jede Menge. Gabi wußte es nicht, meinte aber, sie würde sich darum kümmern, sie zu überreden. "Ist sie wenigstens hübsch?", wollte ich wissen. "Ich find' sie schon hübsch", sagte Gabi. Also nein. Na, was soll's...

Wir fuhren wieder zu Malecón. Erst ins Internet, dann machte ich mich auf zum Telephon, um weitere Navieras zu kontaktieren. Wir fuhren los. Natürlich nicht so, daß wir um 14:00 Uhr, zum vereinbarten Termin, da sein konnten, sonder wir fuhren erst um 14:00 Uhr los. Aber durchaus noch im südamerikanischen Zeitrahmen. Auf zu Naves C.A.. Auf dem Weg mußte ich festellen, daß ich dort bereits angerufen hatte. Was soll's. Egal. Wenn man erst mal vor Ort ist, kann man immer noch irgendwelche Möglichkeiten auskundschaften, oder darauf hoffen, dem Zufall auf die Sprünge helfen zu können. Da kann zum Beispiel irgendein Mensch auf dem Gang stehen, mit dem mein Sachbearbeiter ins Gespräch kommt, mit dem man dann selber redet und der da was machen kann. Oder auch nicht. Aber da schon Peter Kohle schreibt, daß das einzig Reale im Leben der Zufall ist, kann man es ruhig mal darauf ankommen lassen.

Um 15:00 legten wir an einer Shell-Tankstelle eine kleine Pause ein. Ob man nun im Stau steht, oder an der Tankstelle, das ist nun wirklich, zeitlich betrachtet, nicht so der große Unterschied. Von dort aus rief ich den Typen an, den Francisco empfohlen hatte. Den Termin mit Naves C.A. ließ ich kurzerhand ausfallen. Lieber irgendwao vorsprechen, wo ich noch keine Abfuhr bekommen hatte. Es sind keine Arbeitgeber, die einem einen Gefallen tun. Es sind Geschäftsleute, die unser Geld wollen. Daher kann man immer noch zu einem späteren Zeitpunkt auftauchen - oder gar nicht, wenn sich woanders etwas ergibt.

Gabi beim Zubereiten der "Vesper". Toast Hawaii mit Ei.

Also, man kann sagen, was man will. Kochen kann sie einfach, das muß man ihr lassen. Wenn sie auch sonst ziemlich deutsch ist, aber an der von ihr zubereiteten Verpflegung gibt es einfach nichts zu meckern, und mag man sich auch noch so bemühen. Der Toast war einfach himmlisch, nicht nur vom Geschmack her, sondern auch durch das Bewußtsein, daß man etwas Gleichwertiges hier höchstens für horrende Summen erstehen könnte. Für den unbefangenen Leser sieht das natürlich etwas seltsam aus, wenn man da so einen Gnom sieht, der am Randstein irgendwas Eßbares zubereitet, auf einer Motorhaube, die unter einer millimeterdicke Dreckschicht hier und dort hervorschaut. Alles Quatsch. Da vertraute ich Gabi voll und ganz. Die war die erste, die sofort auf hygienische Grundsätze hinwies, wenn es um Essen und Trinken ging, und die im Gegensatz zu mir niemals dem Prinzip "Peal it, cook it, or forget it", untreu werden würde. Und wegen mir machte ich mir da keine Sorgen, wenn es drei Sachen auf der Welt gibt, die mich nie im Stich ließen, dann waren das mein Auto, mein Organismus und meine Familie. Diese drei Sachen in Kombination ermöglichen es erst, daß wir nun hier stehen und in der Lage sind, uns selbst Probleme zu kreieren. Verschiffung und all das. Wozu? Ich, für meinen Teil, muß sagen, ich könnte es hier aushalten. Das einzige echte Problem, das sich mir in diesem Augenblick stellte, war die Tatsache, daß das Geld nicht ins Unendliche reichen würde. Wenn ich das nur ändern könnte...
Die Zigarette nach dem Essen war eine Besondere. Ich saß da auf meinem Fahrerthron, betrachtete die Leute, die emsig ihrer Beschäftigung nachgingen, im Stau standen, hupten, fuchtelten und irgendwohin mußten. Da dachte ich mir, was ich trotzdem ich immer als der größte Versager galt, für ein Glück im Leben hatte. Ich saß hier, fettgefressen, wie eine Schwangere Auster im besten Auto der Welt, mich kümmert nicht das Geringst, ich kann tun, was ich will, keiner quatscht mir dazwischen. Keine Verpflichtungen, keine Termine, keinen Streß - weder negativ, noch positiv (was soll das überhaupt sein, positiver Streß? Schätze sowas wie trockener Regen...) Es ist einfach schön. Leben und leben lassen. Es sind nur kurze Augenblicke, aber die haben es einfach in sich. Wäre da nicht die Zeit, die rücksichtslos vorwärts drängt, würde ich sagen: Augenblick, verweile doch, Du bist so schön. Wer anders als Gabi Z. L. sollt' es sein, um mich aus meinen Träumereien zu reißen? "Sollen wir mal langssam weiterfahren?" Gut. Warum nicht?

"Wenn Wahlen was verändern würden, wären sie verboten", möchte man den Leuten zurufen. Aber was geht's mich an? War ja nur auf der Gegenfahrbahn ein Problem. Und vielleicht nicht einmal das. Vielleicht war es auch nur ein Fußballspiel...

Wir fuhren weiter, als sich die Verkehrslage gerade etwas aufgelockert hatte. Um 16:20 Uhr kamen wir bei Codemar an. Das Gespräch war nicht lang. Man versicherte mir, ein Transport nach Panama sei überhaupt kein Problem. Wären wir jetzt in Mitteleuropa, würde ich sagen: "Mission accomplished", aber dort waren wir zum Glück nicht. Oder zu meinem Bedauern. Ich nahm es lediglich zur Kenntnis. Mehr als diese Versicherung war aber auch nicht rauszuholen. Kein Termin, nichts Schriftliches. Nur die Aussage, daß eine Verschiffung nach Panama kein Problem sei. Nicht mal, auf welche Art und Weise. Aber was soll's. Ich ging zum Auto zurück und mußte Gabi bei Laune halten, also gab ich die Aussage eins zu einz weiter. Meine Bedenken behielt ich für mich, da ich lange genug in Deutschland gelebt habe und weiß, wie Gabi denkt. Wenn die sagen "kein Problem", dann ist da kein Problem. Durch meine Erfahrungen in Südamerika aus früher Kindheit weiß ich: Wenn die sagen "Kein Problem", sollte man nur das letzte Wort wörtlich übersetzen. Aber das machte ich mit mir selber aus, in der blauäugigen Hoffnung, daß sich unterwegs schon irgendwie eine Lösung finden würde.

Nun war der Tag eigentlich auch schon wieder gelaufen. Was uns noch zu tun blieb, war zu einem Copy-Shop zu gehen und die Kopien vom Paßstempel an irgendeinen Delgado in Manta zu faxen. Das tat ich auch (es war mittlerweile 18:30), aber eher damit es so aussieht, als würde ich geschäftig auf ein Ziel, nämlich unsere Verschiffung, zustreben. Nicht, daß ich mir davon etwas versprach. Mir war es auch vollkommen egal, ob wir morgen, übermorgen, oder erst in vier Wochen verschifften. Mir gefiel es hier. Ich fühlte nur einen gewissen Druck im Nacken von meiner Geldgeberin, eine Verpflichtung, irgendwas zu tun, nach dem Motto: Jesus is coming. Look busy!

Es herrschte Berufsverkehr, zusätzlich zu irgendeinem Spiel oder Wahlkrampf oder sowas - ob der Kandidat oder die Partei oder die Mannschaft gewinnt ist egal: Ändern wird sich nichts. Das ist in Deutschland genauso... Der Verkehr lief recht zäh. Wir kamen an einer Engstelle vorbei, die mir allerdings erst auffiel, als ich sie passierte. Warum klappt das mit dem Reißverschlußverfahren hier, und warum sind die Deutschen zu blöd dazu? Nach der Engstelle lief es ein wenig schneller, aber zu erledigen war ja nun nichts mehr, nicht nach sechs Uhr Nachmittags.

Eine halbe Stunde später, also gegen sieben Uhr fand ich eine Taxaco, an der ich hielt um vollzutanken, Tee zu kochen und dem Müßiggang zu frönen. Wir beschlossen, einfach hier übernacht zu bleiben. Ich parkte das Auto so unauffälig es ging um's Eck. Gabi kochte zunächst Tee, dann setzten wir uns auf die gegenüberliegende Straßenseite und lasen. Sie las gerade "Bildung" von Schwanitz, ich wieder mal den Faust.
Nach einer Weile zogen wir wieder ins Auto um und beschlossen, hier gleich über Nacht zu bleiben. Die Tanke lag ziemlich zentral, es gab keinen Grund, stundenlang in die Pampa zu fahren. Der hierzulande übliche Wachmann mit Schrotflinte kam uns besuchen und ich unterhielt mich mit ihm, nicht zuletzt auch deshalb, um der Gabi ihre Paranoia zu nehmen, die sie befällt, wenn sie eine Feuerwaffe sieht - ganz klar eine Folge des postmilitaristischen Zeitalters, in dem sie aufwuchs.

Es ist nun mal hier nicht so, wie in Deutschland, das muß man irgendwann kapieren. Und irgendwann versteht Gabi das auch, da bin ich mir sicher. Mir jagt in dieser Beziehung ei deutscher Bulle mit Waffe mehr Angst ein. Der erschießt einen noch, aus seiner unsäglichen Blödheit heraus, weil er die Dinspistole mit dem Funkgerät verwechselt, oder weil er Cowboy spielen will.
Und da wir wieder beim Vergleichen von Äpfeln und Birnen waren, zog ich als Beispiel wieder den Straßenverkehr heran. Warum hier so, warum dort anders. Warum klappt es hier einigermaßen, obwohl die Voraussetzungen wesentlich schlechter sind als in Deutschland? Wieviele Equadoianer wohl eine Fahrschule besucht haben? Aber das Reißverschlußverfahren klappt. Gabi verstand nicht, warum das Reißverschlußverfahren das Passieren einer Engstelle beschleunigen soll. Soviel zur Sinnhaftigkeit von Fahrschulen. Muß ich das jetzt erklären? Ja. "Das mit dem Reißverschlußverfahren verhält sich so: Die Leute, die darauf kamen, daß das die beste Möglichkeit ist, eine Engstelle zu passieren waren alles Deppen..." Mehr kann ich dazu nicht sagen. In Deutschland erkennt man eine Engstelle daran, daß einen Kilometer vor dem ersten Hinweisschild, alle Idioten sofort auf die Spur fahren, die von der Verengung nicht betroffen ist. Da bleibt dann die andere Spur noch ein paar Kilometer frei, aber benutzt man sie, wie man es in der Fahrschule gelernt hat, dann wird man angehupt. Das Rechtsfahrgebot ist der nächste Punkt. Das gilt in den Köpfen der Deutschen nur für LKW, so scheint es. "Und jeder Wichtigmacher meint, er muß mit seinem Fiat Tunto einen LKW mit 90 km/h überholen, weil es sein Recht ist. Und der Vertreter im M5 muß von 240 auf 90 abbremsen, weil es Madame zu überholen beliebt..." Gabis Ansicht nach gibt es aber viel mehr Wichtigmacher, die in einem dicken Mercedes oder BMW hocken, die meinen, sie hätten die linke Spur gepachtet. "Was soll ich mit meinem Citroën machen, wenn er nicht schneller fährt und mir so ein Idiot am Kofferraum hängt?" Da hätte ich ein paar Vorschläge: Erst rausziehen, wenn er vorbei ist. Schließlich kommt kein Porsche Carrera nicht aus dem Boden geschossen - hab ich zumindest noch nie gehört. Und es geht. Ich hatte komischerweise in hunderttausenden von Kilometern auf deutschen Autobahnen - mit einem der langsamsten Autos, die je auf dem deutschen Markt waren - nur einmal einen solchen Fall, daß mir einer mit Lichthupe am Heck hing - und da habe ich geschlafen. Und froh bin ich, daß der gute 200D nicht schneller fährt, sonst müßte ich Bordkanonen installieren, solte ich je wieder nach Deutschland kommen. Doch Deutschland war Gottseidank weit weg und ich hatte nicht vor, daran etwas zu ändern.

Diskussionen mit Gabi sind jedoch sinnlos, waren sie schon immer. Deshalb ließ ich es auch bleiben, dachte mir meinen Teil, und zog dann los, um mich bettfertig zu machen. Ich war auch einigermaßen müde, war ein voller Tag, heute. Resigniert stellte ich fest, daß das Wasser abgestellt wurde. Der Grund interessierte mich nicht. Kein Grund zur Aufregung, Wasser hatten wir genug...


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold