Panamericana-Tour 2002
Sonntag, 4. August

Mitten in der Nacht kommt er, weckt mich aus und meint: "Scheiße! Schlampen und Nutten... Verloren", schaut hinaus aufs dunkle, weite Meer und schüttelt den Kopf. "Dazu hättest mich nicht wecken müssen, das wußte ich schon, bevor Du losgegangen bist." Er richtete sich zum Schlafen her auf dem Beifahrersitz. Als er fertig war, klopfte ich mit dem rechten Arm an mein Fahrerfenster, spürte, wie er sich mühsam rüberwälst und aufkurbelt. "Was gibt's?", fragte er. "Ich hab noch vergessen, zu sagen, daß Du ein behinderter Vollidiot bist." "Ah, OK. Sonst noch was?" "Nein, das war's... Mach das scheiß Fenster zu und halt's Maul..." Er kurbelt das Fenster zu, murmelt irgendwas von wegen "Besoffen, oder was?", was durch seinen Tijucas-Dialekt besonders entsetzt erklinget, und wälzt sich wieder zurück auf seinen zurückgekurbelten Sitz.

Als kaum der Morgen dämmerte, da ließ ich den Diesel schon warmlaufen und ich packte mein Zeug zusammen. Ein paar Notizen fürs KTB, GPS anwerfen. Als Garmin mit der Satellitensuche fertig war, war der Daimler längst warm. "Auf geht's, Franzos', Faulpelz, aufsteh'n. Und räum die Salatkisten von meinem Steuerstand, so kann ich nicht arbeiten ", fegte ich ihn an, wobei schon von vornherein klar war, daß er nicht wußte, worum es überhaupt ging. War auch vollkommen egal, Hauptsache durch massives Pöbeln Hektik verbreiten...
"Halt's Maul, Du Psychopath, es ist mitten in der Nacht. Und welche Salatkisten, überhaupt, Du Narr?"
"Na, los, keine Müdigkeit vorschützen, auf geht's. Es ist schon halb Sieben. Hopphopp. Das Zeug da weg, aber schnell!", und zeigte auf sein Koppelzeug, das er auf dem Fahrersitz abgelegt hatte. Los ging es. "Lots' mich hier raus, ich hab keine Ahnung, wo wir sind, auf der PanAm kannst weiterpennen..." Er hieß mich links fahren. Ich folgte seinen Anweisungen, aber irgendwie kamen wir von der Küste nicht wirklich weg. Wenn wir immer auf die Berge zuhielten, dann mußten wir irgendwann auf die Zubringerstraße kommen, die von der PanAm wegführt und in Iquique mündet. Es handelt sich um eine Stichstraße, also gibt es nur eine. Kann doch wohl nicht so schwer sein. Nach einer Weile wurde es mir aber zu blöd. "Dreckskaff, wieso können diese Trottel ihren Misthaufen nicht beschildern? Jetzt reichts!" Es war noch sehr früh, es war Sonntag und es gab daher keinen Verkehr. Ich fuhr einfach nach dem GPS, genau auf der Linie, auf der wir hergekommen waren. "He, Du Teufelskreatur, das ist eine Einbahnstraße..." "Doch mir egal, ich will hier raus und wenn es die einem schwer machen, dann muß ich es eben einfach halten. Außerdem ist außer uns kein Mensch auf der Straße am Sonntagmorgen. Alles tot." Wir kamen auf den Zubringer und schon ging es den Berg hinan. "Was ist den da vorne los?", fragte Catarina und zeigte auf ein grell blinkendes, rotes Lichtermeer, das von einer ziemlich schräg aussehenden Fahrzeugansammlung stammte.

Was da genau los war, wußten wohl nur die Beteiligten und der Teufel. Wahrscheinlich ist einer die Klippen runtergestürzt wie ein Propeller. Falls das so war, hat's ihn 500 oder 700 Meter weiter unten förmlich "derbatzt" .

Die Eintragung im KTB lautete: 07.07 Heraußen aus fucking Iquique (742.350). Ich muß wohl etwas in Rage gewesen sein. Kommt vor. Ziemlich oft, sogar. Ich kann mich noch erinnern, als ich einmal in Nürnberg, als ich noch jung und voller Energie war, mich wegen mangelhafter Beschilderung stundenlang verirrt hatte, weil die Sozis natürlich an einer T-Kreuzung, zur der sie einen von der Autobahn in die Stadt lotsen, nur Weißenburg anschreiben, nicht aber Augsburg. Ich wählte die rechte Richtung und stand nach Stunden, immer den Schildern nach Augsburg folgend wieder am selben Schild. Da packte mich die blanke Raserei, ich holte die Brechstange aus dem Kofferraum und verwandelte einen dieser schwarz-weißen Markierungsposten in einen Haufen Plastikspäne. Das Schild hing zu hoch, ansonsten hätte das dran glauben müssen.
Hier waren keine Markierungspfosten und erstrecht keine Schilder, also ließ ich die Brechstange stecken. Fast eine Stunde dauerte es, nämlich bis um 7:55 Uhr, bis wir wieder an der Kreuzung und damit wieder an der Panamericana waren (742.395 km). 45 Kilometer in anderthalb Stunden. "Und Du Depp wolltest gestern noch zwei Stunden fahren. Wir wären bis hierher gekommen, vielleicht ein bißchen weiter...", lachte mich Cat aus. "Schnauze, Du Depp! Schlaf."

Aber als wir auf der PanAm waren ging es zügig weiter. Ich konnte gleich anknüpfen: "In Arica haben wir uns letztes Jahr um 30 Kilometer verfahren, auch nur, weil die Chilesen zu blöd sind, Schilder aufzustellen. Wir kommen an einen Kreisverkehr und da müssen wir bei 270 raus. Kannst Du Dir das merken, oder soll ich Dir ein Bild malen?"
"Wenn Du's weißt, dann mach's halt einfach, was erzählst denn für Geschichten?" Hauptsache ist, die Luft scheppert.

Um 11:30 Uhr kamen wir in Arica an (742.656 km), das ging relativ zügig. Wir kamen an besagtem Kreisverkehr an. Alle möglichen Schilder, auf denen alles stand, nur nicht, wo es zur Grenze geht. Einen Kilometer vor dem Kreisverkehr steht groß auf einem Schild, das quer über der ganzen Straße hängt: "Estacion Fronteriza", dann kommt man an einen Kreisverkehr, der in drei verschiedene Richtungen geht. Der Grundsatz "So lange nichts dasteht immer geradeausfahren" greift hier nicht, denn geradeaus geht es nach Bolivien, rechts auch. Man muß hier links. Ich drehte extra nochmal eine Ehrenrunde, nur um sicherzugehen, daß da kein Schild ist. Es war eines da, und zwar an der denkbar idiotischsten Stelle, nämlich genau nachdem man fast eine ganze Drehung vollzogen hat, an der Abfahrt zu der Straße, auf der wir in den Kreischverkehr hineingefahren waren. Und auf dem Schild steht ein Pfeil, der nach links, genau in den Kreisverkehr hineinzeigt. Großartig. Hat man das Schild passiert, dann darf man drei mal raten, was mit dem Schild gemeint sein könnte. Vollkommen bescheuert. Doch wir fanden diesmal den Weg an die Grenze ohne uns zu verfahren. Wenn man es einmal gemacht hat, dann regt man sich so sehr drüber auf, daß es einem an der gleichen Stelle nicht mehr passiert.

Es ging über 17 Kilometer steil Bergab. Ich konnte nicht widerstehen und mußte ein paar Steinsbrocken hinunterrollen lassen ins Tal. Die lösten teilweise richtige Steinlawinen aus.

Um zehn vor Zwölf standen wir an der Grenze (742.674 km). Auf chilesischer Seite lief eigentlich alles glatt, bis ein Wächter mich fragte, ob ich denn einen dieser Zettel beim Taxifahrer gekauft hätte. Ich sah Catarina an und meinte "Ach, Gott, der Dreck schon wieder?", dann zum Zöllner: "Entschuldigung?" Er erklärte: "Den Zettel, den Sie für die Einreise in Peru brauchen, den müssen Sie beim Taxifahrer kaufen." Ich hatte keinen Bock auf Spiränzchen, klappte das Visier hoch und sagte zu ihm, scharf und bestimmt: "Sie, Herr, ich bin hier, um aus Chile auszureisen, ich habe keinen Zettel und ich werde auch sicher keinen kaufen, und schon gar nicht beim Taxifahrer. Was ist denn das hier für ein Land, in dem man von Beamten aufgefordert wird, irgendwelche angeblich notwendigen Zettel bei Taxifahrern zu kaufen? Geben Sie mir meinen Ausreisestempel, denn das ist ihr Job, und wenn ich ein Papier ausfüllen muß, dann geben Sie mir das Papier umsonst und nicht irgendein Taxifahrer, der dafür noch Geld will. Verstanden?"

"Was hast Du dem jetzt alles gesagt?", wollte Catarina wissen. "Ach, die glauben, ich geh jetzt zum Taxifahrer und kauf einen Zettel, den wir ausfüllen müssen." Er nickte und sagte: "Ich dachte, ich hätte mich verhört, als er das gesagt hatte. Aber ich hab's doch richtig verstanden. Dieser Kontinent ist doch so im Arsch..." Nach ein paar Minuten kam der Grenzer wieder mit zwei Zettel für jeden zurück, die wir ausfüllen mußten. Jeweils einer blieb da, den anderen nahmen wir mit über die Grenze nach Peru.

Die chilenische Grenzanlage bei Arica.

An dieser Grenze standen wir auch schon im letzten Jahr, allerdings nachts. Ich ging zum ersten Schalter und erldigte die Immigración. Die wollten Kopien haben und ich hatte diesmal meine eigenen Kopien dabei. Das einzige, was fehlte, war die Kopie des Einreisestempels, aber ich legte ihnen einfach die Kopie des letztjährigen Stempels vor. Keiner hat es je angeschaut, es ist nur so eine Masche, damit die Tante im sogenannten Copy-Shop, ein Bretterverschlag, in dem ein altersschwacher Kopierer steht, ein paar Münzen verdient.
An mir hatte sie jedenfalls noch keinen Pfennig erwirtschaftet, im letzten Jahr sogar noch Verlust gemacht. Sie schrieben den Aufkleber für das Auto und klebten ihn anstelle des peruanischen Zollaufklebers des letzten Jahres von innen an die Scheibe. Dann sollte ich noch in eine andere Abteilung mit irgendwelchen Papieren, irgendwas Sinnloses erledigen. Ich sagte zum Beamten "Ja" und zu Catarina "Ach, komm, lassen wir den Dreck, fällt eh keinem auf", wir stiegen ein und fuhren los. Doch wir kamen nicht weit, denn am Ausgang mußten wir den Zettel vorzeigen und darauf fehlte ein Stempel eines dritten Gebäudes. "Verdammt nochmal... Es ist doch alles erledigt, Zoll, Immigration, was denn noch?" Der dritte Stempel fehlte. Ich fuhr wieder zurück und als ich ausstieg merkte ich, daß sie den Aufkleber falsch beschriftet hatten. Eigentlich ist mir das ja wurscht, aber damit ist Ärger vorprogrammiert. Wenn auf dem Aufkleber A-AA 679 steht, auf dem Kennzeichen und den Papieren aber A-AA 697, dann haben sie gleich wieder einen Grund, sich wichtigzumachen und Geld einzufordern. Ich nahm ihn ab und ging damit wieder hinein. Da fiel mir ein, daß ich im Jahr zuvor den Aufkleber von der Scheibe wieder abnahm, weil sie ihn mir in mein Sichtfeld geklebt hatten und Gabi sofort lautstark Protest erhob. "Jetzt laß den Aufkleber da dran, die werden schon ihre Gründe gehabt haben, warum sie ihn da hinmachen und nicht woanders." Ich sagte damals nichts, dachte mir nur: "Der Grund liegt wohl darin, daß sie gerade ihre Schablone für 123er Mercedesse nicht finden können..." Naja, noch war es nicht soweit. Ich ging mit dem Aufkleber hinein und bat um einen neuen, weil der alte falsch geschrieben sei. Der Zuständige war in der Mittagspause. "OK, dann erledige ich derweil den anderen Papierkram..." Ich ging hinüber an das andere Gebäude. Es lungerten Geldwechsler umher. Einer kam zu mir, fragte mich, ob ich wechseln wollte. Als die anderen das sahen, kamen sie auch heran. Ich fragte nach dem Kurs. Der war bei allen gleich. Dann ging ich weiter, fragte einen anderen, wie bei ihm der Kurs sei. Er war ein wenig besser. "OK, ich mach mein Papier und komm danach vorbei. Lauf nicht weg."

Ich ging in die Schalterhalle und füllte einen dummen Bogen aus, gab ihn zurück und bat darum, meinen Taxifahrerzettel abzustempeln. Das taten sie. Als ich gerade meine Scheine und Münzen zählte, um sie zu wechseln und den Wechsler heranpfiff, kam eine Rotzgöre und fragte nach Geld. "Hab keines." Sie griff nach meiner Hand, in der ich die Münzen hielt, ich zog die Hand zurück, da schlug sie nach meiner Hand. Ich hielt sie natürlich genau so hin, daß sie auf meine spitzen Knöchel traf. Dann holte sie mit der anderen Hand aus, aber in dem Augenblick hatte ich sie schon am Gesicht gepackt und zur Seite geschubst. Eine fette Schalterbeamtin sah mich böse an. "Was ist?", fuhr ich sie an, "Gibt es hier in Peru keine Schulen? Ich dachte, ich bin an einer Grenzstation, wußte nicht, daß das hier ein Kindergarten ist." Der Geldwechsler kam an und zischte dem lästigen Kind zu, es solle verschwinden, was es dann auch unverzüglich tat. Ich bin da immer noch zu sanftmütig. Ich wechselte das Geld, ging dann wieder zum anderen Schalter, um den Aufkleber abzuholen. Ausfüllen durfte ich ihn selber, so ist wenigstens sichergestellt, daß keine Fehler eingebaut werden.

Chile zwischen Iquique und Arica
Über den Wolken, muß die Freiheit wohl grenzenlos sein.

Als ich erneut versuchte, auszubrechen, erklärte er mir, daß immer noch ein Stempel fehlte, nämlich der von der Lebensmittelinspektion. "Du fette Drecksau!", regte ich mich auf, "kannst Du mir das nicht vorher sagen?", natürlich in meiner Muttersprache, sonst gibt's Ärger, und immer mit freundlichem Gesicht, was ziemlich anstrengend war. Ich fuhr wieder zurück und forderte einen Fitosanitário an. Es kam einer der Beamten auf das Auto zu und fragte mich, ob der Gepäckträger bereits durchsucht worden sei. Überhaupt nicht sein Problem, der soll nach Lebensmitteln suchen. "Ich denke schon, viel zu durchsuchen gibt es ja nicht, liegt ja alles offen drauf... Wie man leicht erkennen kann." Er sah sich alles noch mal an, fragte, was in den Kanistern wäre. "Leer", sagte ich, es würde eh keiner auf das Auto klettern und nachsehen, das tat noch nie einer. Und wenn, dann kann ich immer noch sagen, ich hätte es vergessen. "Die Kanister sind in Ordnung, aber die Bleche... naja, die lasse ich durchgehen. Nur die Reifen, die sind verboten." Jawohl! Hat ja gedauert. So ein Idiot hat mir gerade noch gefehlt. "So? Verboten? Was soll ich jetzt machen?" Blöde Frage, zahlen, natürlich. "Die müssen sie getrennt einführen und verzollen", erklärte er mir. "Ist kein Problem, ich will sie gar nicht einführen. Schenk ich ihnen. Wo soll ich sie hinlegen?" "Nein, sie können die Reifen nicht hierlassen, sie müssen Zoll dafür zahlen." Bloß keine afrikanischen Diskussionen mehr. Ist zwar immer witzig, aber wir mußten weiter. Aber um einen dieser sinnlosen Dialoge kam ich trotzdem nicht.
"Also: Spielregel Nummer eins: Ich zahle grundsätzlich nicht, so lange ich nichts falsch mache. Wie kommt das, daß das letztes Jahr nicht verboten war? Ich bin genau so hier eingereist. Hat keinen gestört. Wieso geht es jetzt nicht mehr?"
"Nun, das Gesetz hat sich geändert."
"So. Können Sie mir das Gesetz zeigen?"
"Das hab ich doch nicht da. Wie soll ich es ihnen denn zeigen? Überlegen Sie doch mal..."
"Nun, wenn Sie es nicht da haben, woher wissen Sie überhaupt, daß es sich geändert hat? Kommt hier ein Regierungsbeamter vorbei und sagt, daß ab jetzt alle Reifen auf Gepäckträgern von Mercedessen versteuert werden müssen? Es muß doch irgendwo geschrieben stehen. Überlegen Sie doch mal! Ich hab in keinem anderen Land so viel Papier ausfüllen müssen, wie in Peru, und sie wollen mir erzählen, daß so ein Gesetz nicht schriftlich irgendwo zu lesen steht? Wenn sie das Papier nicht dahaben, dann kann es ja genauso gut sein, daß Sie das Gesetz gerade eben erfunden haben, oder daß es wieder aufgehoben wurde - aus Papiermangel. Das ist Ihr Privatvergnügen, hat mit mir nichts zu tun, mit meinen Reifen schon gar nicht." Ich sah hinter ihm seinen Vorgesetzten vorbeilaufen und schrie zu ihm herüber: "Sie, entschuldigung, ihrem Kollegen paßt mein Gepäckträger nicht. Ich habe hier im letzten Jahr diese Grenze passiert, wie sie am alten Aufkleber für die Scheibe sehen können. Damals haben die Reifen niemanden gestört, jetzt sind sie verboten. Sie selbst haben mich letztes Jahr abgefertigt. Erinnern Sie sich vielleicht? Es war um die selbe Jahreszeit und zwar bei der Nacht." Er konnte sich nicht erinnern. Ich konnte mich an ihn natürlich auch nicht an ihn erinnern, aber das weiß er ja nicht. Die beiden unterhielten sich und waren sich einig, daß die Reifen verboten seien. "Gut, kein Problem, ich hab das Affentheater hier in Peru sowieso jetzt schon satt bevor ich überhaupt im Land war. Meine Papiere her, sofort!, ich fahr zurück nach Chile, da brauch ich abgefahrene Reifen nicht zu verzollen... und vor allem brauch ich dort nicht fünfhundert sinnlose Stempel." Er gab nach meinte, ich solle mich beruhigen, machte einen Stempel in den Zettel und meinte, ich könne gehen. Er hatte wohl auch keinen Bock auf Affentheater. Schnell mal ein bißchen Trinkgeld abnehmen war OK, aber wenn man dafür ewig palavern muß, dann vergeht ihnen die Lust. "Einfach den Zettel vorzeigen dort vorne." Die Früchte hinter dem Sitz konnte er natürlich gar nicht finden, denn er hat ins Auto gar nicht hineingeschaut - natürlich nicht, denn das wäre ja seine eigentliche Arbeit gewesen. Arbeiten ist anstrengend.

Ich fuhr wieder zur Ausfahrt hin, hielt der fetten Sau den Zettel hin. Der meinte, da würde der Stempel von der Polizei fehlen. Ich stieg aus, riß ihm den Zettel aus der Hand und schrie ihn an: "Und was fehlt sonst noch?", ich stapfte zurück und fragte, wo die verdammte Polizei sei. "Ihr geht mir langsam auf die Nerven mit Eurer Mierda hier." Sie zeigte mir den Weg zur Polizei, ich ging hin und bat sie, einen Stempel hineinzumachen, was sie auch taten. Völlig planlos. Die hatten nichts durchsucht, nichts gefragt, sammelt dieser Idiot da vorne Stempel oder was? Warum soll ich zur Polizei, nur und ausschließlich um einen Zettel abstempeln zu lassen, den die fettgezogene Nachgeburt da vorn am Ausgang hinterher in den Mülleimer haut, wie es seine Mutter auch mit dem eigentlichen Kind gemacht hat. Ich ging zurück, gab ihm im vorbeigehen den Zettel, allerdings nicht in die mit eitrigen Wurstfingern bestückte Hand, sondern vor die Füße, stieg ins Auto und fuhr los. Ich war schon wieder auf 180 und Catarina, der die ganze Zeit in der Prallen Wüstensonne stand, auch. Die KTB-Eintragung lautete im Originalton: "12.40 Ende der Grenzprocedur - Scheiß Peruaner!"

Weg hier. Die übertreffen ja glatt die zweite Einreise in Brasilien, wenn sie so weitermachen. Schon nach einigen Kilometern war die Wut wieder verflogen. Bei mir, aber nicht bei Cat. Was soll's. Wir waren drin und hatten erstmal Ruhe bis zur nächsten Grenze. Der Diesel dröhnt, Musik erklingt, die Welt ist wieder in Ordnung, die Grenze schon wieder halb vergessen. Noch ein wenig im Gespräch die Sache nachbearbeiten und alles ist wieder gut. Überhaupt regte mich nicht so sehr die Grenze auf, sondern eher der Zeitdruck unter den ich mich selbst brachte. Das war es, was mich leicht zum ausrasten brachte, was natürlich nicht gut ist. Solange man ruhig bleiben kann und einem alles egal ist, sollen sie noch zehn Stempel haben wollen, ohne, daß es Theater gibt. Almut würde auf dieser Fahrt einfach fehlen. Die kann das nicht haben, wenn man die Fassung verliert und strahlt meistens selbst Ruhe für ein ganzes Regiment aus.

Wir fuhren durch Täler und Hügel,
Wo nie eine Blüte noch stand.
Es hämmert und rasselt der Diesel
Und zwingt das verödete Land.

"Du", sagte Catarina, "und dieser Mist in Chile, das mit dem Taxizettel, mein ich. Das war nicht auf chilenischem, sondern auf peruanischem Mist gewachsen." Stimmte genau. Ich hasse Grenzen, die sind nur dazu da, um Ärger zu machen, zu sonst nichts. "Tja, bisher waren wir in den zivilisierten Ländern - von Brasilien abgesehen. Ab jetzt sind wir wieder im richtigen Südamerika. Mach auch Du Dich als eingeborener Viertweltler auf einiges gefaßt..." Die Grenze nach Equador wird bestimmt ähnlich, jetzt wird die Sache wieder wie gewohnt, man muß sich ab und zu aufregen, auf den Tisch schlagen und ansonsten seinen Weg durch das System mit all seinen Lücken und Tücken, und Schikanen finden. Catarina war in dieser Beziehung kein völliger Neuling, läuft es doch in Brasilien genauso. Jeder erzählt Geschichten von großen Problemen, aber es gibt kaum ein Problem, das sich nicht mit Geld lösen ließe. Zu diesem Zwecke werden die Probleme ja erfunden.

Und Gabi, die wir nun in den nächsten Tagen aufnehmen sollten, war bei weitem keine Almut. Hilfe war von ihrer Seite bei solchen Situationen nicht zu erwarten, im Gegenteil. Da kommt höchstens zusätzlicher Druck. Catarina hatte für solche Situationen schon ein Händchen, lebt ja in dieser Welt, klar, manchmal würde er sich etwas ungeschickt verhalten, aber er stört nicht. Das ist wichtig. Klar, eine Almut ist perfekt, die ist immer locker und gelassen und immer bemüht, mir den Weg so frei wie möglich zu machen, all die tausend Kleinigkeiten zu erledigen, die Pässe vorzubereiten, das Auto nach der Durchsuchung wieder startklar zu machen, alles möglichst so zu legen, daß ich nur die Papiere mache, und mich um sonst nichts kümmern muß. Wir sind mittlerweile so gut eingespielt, daß ich im entscheidenden Moment gar nicht zu befehlen brauche, sondern davon ausgehen kann, daß alles schon stimmt und zwar hundertprozentig stimmt. Ich kann das auch alles alleine bewältigen. Aber umso ärgerlicher ist es, wenn das Zusammenspiel zwischen Fahrer und Beifahrer nicht funktioniert. Doch es funktionierte, denn Catarina war in Ordnung, er hatte eine saubere Buchführung und war sehr am Grenzprozedere interessiert. Leider muß auch immer einer beim Auto bleiben und wir waren nur zu zweit.

Kurzer Halt in Tacna. Catarina mußte Geld holen.

Anderthalb Stunden, nachdem wir die Grenze passiert hatten, wurden wir durch Hütchen von der Straße heruntergeleitet. Der Grund dafür war eine Zollinspektion. Ich dachte erst, das Generve geht weiter, wie es aufgehört hatte, aber die wollten gar nichts wissen, überprüften nur die Fahrgestellnummer und das war's auch schon wieder. Wir blieben sogar noch eine Weile und unterhielten uns mit dem Zöllner. Das Kaff bei dem wir uns befanden hieß Tomasiri, wir waren seit der Grenze genau 74 Kilometer gefahren. Als es weiterging sagte ich noch zu Cat: "Das schaffen wir niemals, schau mal, es ist schon viertel Drei und wir haben noch keine hundert Kilometer zurückgelegt seit der Grenze". "Hör doch endlich mal auf zu jammern und gib stattdessen Gas. Ich versteh gar nicht, was das soll. Fällt sie sofort tot um, wenn wir nicht pünktlich da sind, oder was passiert dann? Wie lang bleibt die überhaupt?" Bis mitte Oktober. "Die hat also 10 Wochen Zeit, Du bist eh ein Gammler und hast hundert Jahre Zeit, wenn es hier jemand eilig haben sollte, dann bin das doch ich, oder seh ich das falsch?" Nein, eigentlich sah er es genau richtig. Er würde Gabi noch früh genug kennenlernen...

Obgleich wir uns in der Wüste befanden, wechselte die Landschaft ständig. Mal war sie flach wie ein Bügelbrett, dann ging es wieder auf und ab, durch Hügel und Berge, mal quälte sich der Daimler hinauf mit 60 km/h, dann sausten wir wieder mit hundert Sachen hinab. Ich wollte es nicht auf die Spitze treiben, denn die Gelenwelle war nur provisorisch instandgesetzt. Ich hatte bedenken, ob der Reifenschlauch die Umdrehungen bei 120 mitmachen würde. Wenn der wegplatzt, dann können wir unseren Terminplan gleich mit den Resten des Schlauches im hohen Bogen in die Wüste werfen.

Irgendwo in fremdem Land
Ziehen wir durch Stein und Sand
Fern von zuhaus' und vogelfrei
60 PS und ich bin dabei.

Auch das Wetter gestaltete sich abwechslungsreich. Regnen tat es zwar nicht, doch mal war es sonnig, dann wieder neblig, dann brach die Sonne erneut durch. Das einzige, was immer gleich blieb war der Wind. In der Ebene schaukelte der Daimler immer in den Bergen nur ab und zu, wenn eine Bö durchbrach. Aber wir kamen gut voran. So ging es vorwärts, den ganzen restlichen Tag und die halbe Nacht. Gegen Nacht wurde es dringend mit dem Diesel. Man findet weit und breit keine Tankstelle, und wenn doch, dann kommt es gerade bei der Nacht vor, daß sie geschlossen haben. Manche sehen so aus, als wären sie schon seit Jahren außer Betrieb. Aber wissen tut man es nicht, daher immer anfahren und versuchen, den Zapfhahn zu bedienen. Funktionierte natürlich nie. An einer dieser Tankstellen, die sehr schlecht beleuchtet war, beobachtete ich einen LKW, der gerade Kraftstoff aufnahm. Wir fuhren sie an. Ein etwas dubios aussehender Tankwart kam und fragte was wir wollten. "Nun, so Zeug für den Tank, halt, oder? Diesel am besten." Er tankte voll, auch machten wir einige Kanister voll. Die würden wir brauchen.

Seltsamer Tankwart
Irgendwas stimmte mit dem Typen nicht. Allerdings hatten wir weder die Zeit noch die Lust, das herauszufinden.

Es ist immer so eine Sache, die sich schlecht erklären läßt. Paßt natürlich nicht in die deutsche Denkweise, jemanden nach dem Aussehen zu beurteilen, obwohl das gerade in Deutschland gerne praktiziert wird - aber nicht offiziell, denn das wäre ja nicht politisch korrekt. Ich hingegen tue das oft und gern, und ich sage, mit dem Typen war irgendwas oberfaul. Vielleicht täusche ich mich, und es war ein netter Mensch. Ich würde es nie herausfinden, aber den Preis zahle ich gern. Bisher hatte ich noch nie ernsthaft eine Knarre am Schädel und das soll auch so bleiben. Wenn ich Leute sehe, die mir nicht gefallen, dann werden sie umgangen, und damit basta. Politisch inkorrekt, aber es hat sich bewährt. Was auf der anderen Seite nicht heißen soll, daß man Menschen generell meidet, sondern eben nur gewisse besonders unsympathische Gestalten. Wie eben diesen Tankwart. Cat hatte auch das Gefühl, daß da was nicht stimmte, meinte, "Der stand bestimmt unter Drogen..."


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold