Panamericana-Tour 2002
Samstag, 3. August

Für tankstellige Verhältnisse weckte man uns relativ spät, erst um halb acht. Fand ich nett. Wir machten uns startklar, waren um zwanzig vor acht schon auf Achse und rollten auf Arica zu. Das war die Grenzstadt, die wir allerdings heut wohl nicht erreichen würden. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, rechtzeitig in Lima zu sein. Das war Utopisch, wir hatten noch über 2.300 km und das Flugzeug kam übermorgen an. "Vergiß es", sagte ich zu mir - nicht aber zu Catarina. Wir fuhren wieder die zehn oder zwanzig Kilometer zurück auf die PanAm und es ging weiter in Richtung Norden. Kurz nach Antofagasta passiert man den Wendekreis. Wir waren nun ungefähr auf der geographischen Höhe von Campinas und von Windhoek. Warum ist auf dieser geographischen Höhe hier wunderschöne Wüste, ebenso wie in Afrika und Australien und warum hat ausgerechnet Campinas so ein schwüles Drecksklima? Die Antwort liegt auf der Hand: Das hier ist Chile, das andere ist Brasilien und Brasilien ist einfach Dreck. Müssen sich wohl wieder wichtigmachen und anders sein als die anderen. Könnten sich wenigstens ein bißchen bemühen, einmal im positiven Sinne anders zu sein, sprich besser, und zwar nicht nur im Fußball.

Am südlichen Wendekreis.

Wir passierten nicht nur den Wendekreis, sondern auch die Gedenkstätte, an der meine Tachowelle ruhte, die letztes Jahr hier gerissen war. Und sie lag wie erwartet immer noch dort, Quer über dem Faß, unangetastet, so, wie ich sie hingelegt hatte. Irgendwann sahen wir LKW-Fahrer an einem Rastplatz (oder auch nur an einer Stelle in der Wüste, wie an jeder anderen auch) eine Pause machen. Es waren drei LKW. Wir stellten erstens das Auto ab, zweitens uns dazu und drittens eine Reihe blöder Fragen. Wie lang bis wohin, warum ausgerechnet hier Pause, an einer Stelle wie jeder anderen Blabla. Jedenfalls schwätzten wir uns über eine Stunde fest. "Auweh! Nach Peru fahrt ihr also, müßt aufpassen, Peruaner sind alle Verbrecher", sagte einer der LKW-Fahrer, lachte und fügte hinzu "glaubt es mir, ich weiß wovon ich spreche, bin selber einer", und lacht weiter. Dann wollten sie wissen, wo wir mit dem Auto herkommen. "Aus der Nähe von San Pablo, Brazil.", meinte Catarina. "Ooooh, das war aber ein weiter Weg! Seid ihr über den südlichen Paß gefahren oder über den nördlichen?" Das wußten wir nicht genau, wir dachten es gibt mehr als zwei, aber von den zwei uns bekannten nahmen wir den südlichen. "Das ist aber ein weiter, weiter weg, von São Paulo bis hierher. Sind das brasilianische Kennzeichen, da?" "Nein, Schmarrn, das sind Deutsche. In Brasilien gibt es außer dem VW-Käfer keine guten Autos, und ist ja klar, daß man nicht ein brasilianisches Auto nehmen kann, wenn man von São Paulo bis hierherfahren will - und noch weiter, denn eigentlich geht die Fahrt ja nach Mexiko." Der Fahrer, der zu dem Mercedes-Laster gehörte, fragte, ob es denn in Brasilien keine Autos gab? "Naja, mei, weißt ja selber, gell. Also, die Brasilianer meinen schon, daß sie Autos haben, aber die wenigsten von ihnen haben je ein richtiges Auto gesehen. Mehr als einmal wurde ich gefragt, ob das da ein Alfa sei. Sind halt so, wollen so sein wie die Großen und die Großen, also VW, Ford, Chevy, Fiat usw. geben ihnen halt ein paar Spielzeugautos... können sie rumkariolen, damit."
"Ja, wieso habt ihr denn keine Autos in Brasilien?" Ich zeigte auf Cat. "Frag ihn. Mein brasilianischer Freund hier sieht zum ersten mal in seinem Leben eine Straße ohne Schlaglöcher", ich zeigte auf die PanAmericana und klopfte Catarina auf die Schulter. "Was sagst?" "Ich hab gesagt, daß Du Dich darüber freust, daß wir, seit wir Brasilien verlassen haben kein Schlagloch mehr gesehen haben." Er nickte zustimmend, "Jaja, Brasiu alles Schlagloch", erklärte er dann. "Jaja", übersetzte ich dann, "Brasiu alles Scheiße... wollte er damit sagen." Allgemeines Gelächter. Dafür, daß wir eigentlich nur ein paar Fragen stellen wollten, hatten wir uns schon wieder viel zu lange aufgehalten. Gebraucht der Zeit, sie rinnt so schnell von hinnen. Aber bereut hat das keiner. Wozu reist man sonst? Das kann man sich alles auch auf Bildern anschauen. Ist billiger.
Irgendwann mußte aber dennoch weitergefahren werden und wir verabschiedeten uns schließlich. "Dankeschön für die Auskünfte, meine Herrn, wir müssen weiter - und ihr wohl auch... Ihr wollt ja sicherlich irgendwann irgendwo ankommen, oder?" Einer sah auf die Uhr, es war fast ein Uhr. Plötzlich hatten sie es alle eilig. Sie kletterten auf ihre LKW und fuhren weiter gen Süden, wir stiegen ein und fuhren auch weiter, aber nach Norden.

Pause irgendwo im Nirgendwo. Die LKW-Fahrer waren eine fröhliche Bande.

Ich drängelte, denn wir hatten wirklich keine Zeit zu verlieren. Und ich ging mir mit meiner Dränglerei schon langsam selbst auf die Nerven. So was Idiotisches. So reist man nicht, sondern so hetzt man nur von einem Ort zum nächsten und kriegt von nichts etwas mit. Dennoch hielt ich einmal an an einem Steinfeld. "Was soll das? Warum hältst Du hier an?", wollte Catarina wissen. "Das hier sind Felsmalereien, Lithoglyphen, heißen die glaub ich in der Fachsprache." "Lithowas? Was redest Du da?" "Ja, mei, so Zeug, was irgendwelche Halbaffen, wie Du einer bist, in die Steine geritzt haben, vor langer Zeit. Da, schau, da hat einer irgendeinen Verwandten von Dir in den Stein gemeißelt..." Nun checkte er, worum es ging und sprang von einem Felsen zum anderen, um Bilder zu machen. Dann fuhren wir weiter.

Es entsponn sich in Anbetracht der gerade für Cat gewaltigen Veränderungen, die sich täglich dem Auge boten, eine Grundsatzdiskussion, die ich hier wiedergebe, zum einen als Resümee meiner Zeit in Brasilien, die nun zu Ende war und zum anderen, weil es eins der typischen Gespräche ist, die sich entspinnen, wenn man stundenlang durch die Gegend fährt, weitab von alldem was einem Vertraut ist und stundenlang in die Landschaft starrt, die sich nur träge verändert. Der nächste Absatz kann genausogut übersprungen werden. "Stimmt wirklich", sagte er dann irgendwann einmal, "Schlaglöcher hab ich keine mehr gesehen. Aber das liegt sicher auch daran, daß es hier nicht regnet und daß hier viel weniger Autos fahren." Auch das ist wieder typisch Brasilianisch: nie um eine Ausrede verlegen. "Papperlapapp. Ja und? Der Tag ist heiß, die Nacht sehr kalt, auch das schafft eine Straße. In Argentinien, wo wir waren, dort regnet es sehr wohl, es schneit sogar, und der ganze Schwerlastverkehr rollt auf der einen Straße. Hast Du dort Schlaglöcher gesehen? Wenn es irgendwo regnet, dann muß man eben regenfeste Straßen bauen und nicht wie Ihr Euch das so vorstellt, daß man die Rechnung ausstellt für erstklassigen Belag, das Geld kassiert und einen fünftklassigen Belag klauft und den auch noch mit Hundescheiße streckt. 20% für den Straßenbau, 80% ins eigene Säckel. Und was macht der Herr Politiker mit den abgezweigten Milliönchen? Er kauft sich einen Ferrari und stellt ihn in Brasilien in die Garage, damit er von sich sagen kann, daß er einen Ferrari besitzt, denn fahren kann er mit dem Flitzer nicht - wo denn auch? Das ist einfach eine Proletennation und die, die die Zeche letztendlich bezahlen und den Verbrechern die Porsches finanzieren, also Leute wie Du, mein Freund, sind auch noch genau die Leute, die vor Nationalstolz kaum mehr aufrecht gehen können. Brasilien! Einen dicken Haufen sollen Elephanten drauf setzen und Du solltest das auch tun, denn frag mal nach, ob ein Color oder ein Nicolau dos Santos Neto besonders Stolz auf Brasilien sind. Die haben alle ihre Apartements in Miami ihre Ferienwohnungen in Europa und die schönen Autos in der Garage, mit denen sie dort auch fahren können. Wollen von Brasilien nichts wissen, außer vielleicht, wie sie noch ein paar Milliönchen auf die Seite schaffen können und lachen sich, wenn sie cool sind, noch über Euch kaputt. Ich weiß gar nicht, was ihr Euch alle wie so stolze Gockel auf das Kackland einbildet. Was kannst Du von Brasilien erwarten, wenn Du einmal nicht mehr für Dich sorgen kannst? Was gibt es Dir? Falls Du wegrationalisiert wirst, Arbeit verlierst oder einen Unfall erleidest, nicht mehr arbeiten kannst, was dann?

Bergungsaktion
Ein Bergungsversuch, nur Augenblicke bevor die Kette mit lautem Knallen und Klirren riß.

Entweder Du sorgst vor, oder Du hast Pech gehabt. Das heißt neben den 30 Prozent Deines Gehaltes, daß Du dem Staat gibst, der Dir davon selbstredend nicht einen Pfennig an Gegenwert liefert, kannst Du nochmal 30 Prozent dafür aufwenden, sicherzugehen, daß für Dich gesorgt ist, wenn Du das selbst nicht mehr tun kannst und von den 40 Prozent die übrig bleiben kannst Du Deine Miete, Deinen Fraß und Deine Raten abzahlen für alles mögliche, weil alles nur auf Pump lebt. Das nennt man von der Hand in den Mund leben und das ist die einzige Sicherheit, die Dir Brasilien bietet. Und selbst wenn Du ein bißchen was auf die Seite schaffen kannst, dann kannst Du gleichzeitig davon ausgehen, daß es Dir einer wegnimmt - entweder der Staat oder einer mit der Knarre. Und Du bist dann froh, noch am Leben zu sein. Schön, tolles Land, da kann man wirklich stolz sein, immerhin hat es die beste Konzerthalle der Welt... und natürlich eine tolle Fußballmannschaft - die sind übrigens vor der Kamera auch sehr stolz auf Brasilien aber sie leben doch drüben in Europa und wenn sie in Brasilien leben, dann sicher nicht in dem Brasilien, das wir kennen. Und sie fahren natürlich mindestens ein deutsches Auto, ist ja klar. Schau Dir das Land hier mal an. hast Du irgendwo gelesen, Chile sei die Nummer eins? Wenn es so ist, braucht man es nicht betonen, und wenn nicht, dann wird es dadurch nicht besser, daß man noch so stolz drauf ist - im Gegenteil."
Er unterbrach mich nicht bei meinem Sermon und stimmte mir weitgehend zu, aber es sei sein Land. "Gut, das wird es auch bleiben, der Mensch ist von Natur aus mit der Scholle verbunden und liebt seine Heimat, in der er großgeworden ist. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. In unserer Familie ist es nicht anders, obwohl wir Kinder weniger verwurzelt waren, uns während der Kindheit und frühen Jugend nie in einem der beiden Länder in denen wir lebten verwurzeln konnten. Aber wenn etwas Scheiße ist, dann ist es das, egal ob es mein Land ist, oder Deines oder das vom Papst, das tut nichts zur Sache. Mit Samba und Fußball allein kann man nun mal nichts besser machen." Ob ich denn glaube, Deutschland sei besser als Brasilien. "Das hat doch damit nichts zu tun. Es gibt viele Sachen, die in Deutschland besser sind, bestimmt genausoviele, die in Brasilien besser sind. Ich kann mir das heraussuchen, was für mich besser ist. Vielleicht komme ich zu dem Schluß, daß Equador unterm Strich für mich das beste sei, wer weiß. Es geht nicht darum, welches Land an sich besser ist, sondern es geht um die persönlichen Vorteile. Wenn ich der Ansicht wäre, daß Deutschland das Nonplusultra sei, dann hätte ich es wohl kaum verlassen. Am einfachsten wäre es für mich natürlich gewesen, einfach dort zu bleiben, aber ich hatte die Gelegenheit, mir ein paar andere Länder anzusehen und ich hab diese Gelegenheit wahrgenommen, obwohl man auch das in vielerlei Hinsicht besser hätte machen können, als ich es tat und tue. Und meiner Ansicht nach ist es genau falsch, durch die Gegend zu fahren und zu erwarten, daß alles so läuft wie daheim." Das hörte sich wohl an, wie ein Vorwurf, denn er betonte vehement, daß er das gar nicht täte. "Nein, tust Du auch nicht, hab ich nicht gesagt. Ich habe das früher getan, habe ich erst lernen müssen, daß man im Senegal oder in Brasilien eben fünf Stunden aufwenden muß für Sachen, die daheim in einer Minute gehen. Dafür gibt es andere Sachen, die funktionieren dort irgendwie, oft mehr schlecht als recht, doch daheim funktionieren sie überhaupt nicht.
Man muß sich einfach von der nationalen Betrachtungsweise lösen. Das kommt über kurz oder lang von selbst. Je länger man von daheim wegbleibt, desto mehr und mehr verdrängt und vergißt man, wie es dort war und lernt mit den neuen Gegebenheiten klarzukommen oder man scheitert eben und geht freiwillig zurück - oft genug, nur um herauszufinden, daß auch dort nicht mehr alles so ist, wie es einmal war. Man kann nur an sich selbst arbeiten, man kann seine Umwelt nicht oder nur schwer verändern. Aber brauchst nicht traurig sein. Die Schlaglöcher kommen früh genug zurück. In Hülle und Fülle."

Auf dem Weg nach Pica.
Wir ziehen unsere Straßen, der Diesel gibt den Takt...

Ich war immer wieder überrascht, daß er von der Landschft so überwältigt war. In den Anden, da wäre er beinahe an einem Herzinfarkt gestorben, wozu sicher auch die 3.500 Höhenmeter einiges beigetragen haben. Aber auch in der Wüste kam er selten aus dem Staunen. Immerhin hat er gemerkt, daß Brasilien nicht der Mittelpunkt der Welt ist und ich konnte im klarmachen, daß Brasilien trotz seiner Größe ein Land ist, das auch vom landschaftlichen Standpunkt her gesehen relativ wenig Vielfalt bietet. Im Prinzip kann man sagen, daß es einfach grün ist. Im Nordwesten sehr grün, im Nordosten sehr wenig grün und im Süden normalgrün. Das war's. Hält man das viel kleinere Argentinien dagegen, dann bekommt man eine Ahnung davon, was Vielfalt in Bezug auf Landschaft bedeutet.

Catarina kramte irgendwas Namens Pica aus dem Reiseführer. Ob wir denn da hinfahren könnten. Nachdem es eh schon egal war, willigte ich ein. Wir kamen um 15:25 Uhr an eine Kreuzung. "Eine Kreuzung! Wie außergewöhnlich!" Links ging es nach Iquique, rechts nach Pica. Auf einer schmalen aber relativ gut asphaltierten Straße fuhren wir dahin. Wir fuhren nach Pica, nur um festzustellen, daß es dort nichts Besonderes zu sehen gab. Es war sowas, wie eine kleine Oase, ein grüner Fleck mitten in der Wüste. Mag sein, daß ich viel zu sehr auf die Maschine fixiert bin, aber ich fand daran nichts Besonderes, aber für Catarina wieder ein Grund auszuflippen. "Do Caralho!!!", schrie er immer und immer wieder, stieg aus, hüpfte durch den Sand und freute sich wie ein Schneekönig. "Wart nur, bis wir in Iquique sind", dachte ich.

Pica voraus
Pica voraus. Ein grüner Fleck mitten in der Wüste.

Wir fuhren in das Dorf hinein und ich parkte vor dem Rathaus, Catarina sprang in dem Dorf umher, ich wartete im Auto. Dann ging es die ganze Strecke wieder zurück. Ein mehr oder weniger sinnloser Ausflug, allerdings muß es einfach sein. Man will ja nicht rasen, sondern eigentlich reisen. Aber das Flugzeug wird nicht ein paar Tage Verspätung haben, wenn, dann nur ein paar Stunden. Mich regte diese Geschichte mit dem Computer auf und ich fluchte die ganze Fahrt wie ein Landsknecht auf meine Schwester. Wie kann man nur so blöd sein?
"Verdammt nochmal! Die schönsten Geräte in den Rohren. Stück für Zweihundert Dollar. Aber keinen Computer. Alles, was wir brauchen ist für fünfzig Cent nen alten Computer...", schnaubte ich auf Deutsch (hört sich einfach besser an).
"Was hast Du da gerade gebellt? Alter, die Sparche hört sich so aggressiv an, so reden doch nur Erschießungskommandos. Ich frage mich, wie das erst werden soll, wenn hier im Auto noch so eine Kreatur hockt, die am Rauchen und am Deutschreden ist... Kann ich mir sowieso nicht vorstellen, daß bei Euch in Deutschland die Frauen auch Deutsch reden. Wenn ich mir da so eine Blondine vorstelle, perfekte Figur, wunderschönes Gesicht - und sie macht dann den Mund auf und redet so wie Du gerade, dann muß doch jeder normale Mensch das Weite suchen."
"Ach, was. Weißt Du, wie wir in Deutschland hübsche Frauen nennen?"
"Wie denn?"
"Touristen..."
"Aber mal ohne Witz, ich kann mir nichts unerotischeres vorstellen, als eine Frau, die Deutsch spricht." Ist was wahres dran. Das knorrige Soldatendeutsch, es hat einfach was. Wenn man sich andererseits diese Bleisoldaten in Brasilien ansieht, wie sie sich da auf portugiesisch Kommandos zuzuzuzeln versuchen, das würde jedem anständigen Deutschen die Schamesröte ins Gesicht treiben - klingt eher erheiternd. Es gibt nun mal maskuline und feminine Sprachen. Deutsch, Spanisch, Russisch, beispielsweise, zählen zu den ersteren, Portugiesisch, Französisch, oder Norwegisch zu letzteren. Ich denke, es dürfte wohl an den Rachenlauten liegen. Englisch ist in jeder Beziehung ein Bastard, vom Charakter her eher weiblich, weil glitschig wie ein kalter Fisch.
"Siehste? Und ich kann mir nichts Schwuleres vorstellen, als ein Mann, der Portugiesisch redet... Das ist die ausgleichende Gerechtigkeit. Deswegen hat wahrscheinlich mein Vater eine Brasilianerin geheiratet..."
"Von wegen schwul... Depp."
"Ja, schwul. Schwuchtel! Schau lieber nach, wo es lang geht, sonst verfahren wir uns!", wies ich ihn an.
"Du... also... Du erzählst mir was von schwul, Du Tunte! Hast Du, seit wir die PanAm verlassen haben eine einzige Kreuzung gesehen? Also, wenn die Straße fehlt sind wir verkehrt und wenn Du es schaffst, einfach nur auf der Straße zu bleiben, dann kann nichts schief gehen... Bei der nächsten Kreuzung einfach gradeaus drüber und dann sind wir bald in Iquique. Weiß wie eine Kreuzung aussieht?"
Wir fuhren durch ein kleines Dorf. Nur ein paar Häuser links und rechts der Straße. Keine Seitenstraßen, keine Läden, keine Tankstelle. Es lag da, wie ausgestorben, nur an einem Schild saß ein Mensch und spielte auf einer roten E-Gitarre. Natürlich ohne Strom, denn der nächste Strom war in Iquique zu finden. "Dreh um", sagte Cat.
"Was?"
"Dreh um, Du Affe, ich muß von dem Typen ein Bild machen."
"Kennst Du den?"
"Halt's Maul jetzt und dreh um, woher soll ich den kennen? Aber ich brauch ein Bild, der Typ ist noch bescheuerter als Du. Hockt da in der prallen Sonne und spielt auf einer nicht angeschlossenen E-Gitarre."

Einsamer E-Gitarrenspieler
Show must go on...

Ich wendete, wir stiegen aus und Catarina versuchte, ihn auf Portugiesisch zu fragen, ob er denn ein Bild machen dürfe. Foto hat er verstanden und meinte "Natürlich". Ich fragte ihn dann, ob das alle Einwohner des Dorfes so machen, oder ob es einen bestimmten Grund gibt, warum er um die Uhrzeit an der Straße hockt, an der sicher außer uns niemand vorbeikommen würde in den nächsten Tagen. "Doch, da gibt es einen Bus und auf den warte ich." "Einen Bus? Hier? Interessant... Und wann kommt der?" Er zuckt mit den Schultern. Es gibt also noch mehr Verrückte hier draußen.
"Leider können wir Dich nicht mitnehmen, weil die Rückbank voller Mist ist."
"Paßt schon, der Bus muß ja irgendwann kommen."
"Wie meinst Du irgendwann?"
"Der kommt schon irgendwann heute noch vorbei, je nachdem, ob früher oder später." Logisch, eigentlich, hätte ich mir ja selbst denken können. Wenn er nicht früher kommt, dann kommt er eben später und natürlich gilt das auch für den umgekehrten Fall. Ihn schien das überhaupt nicht im geringsten zu stören. Er saß da und klimperte seine fröhliche Melodie. Als wir weiterfuhren winkte er uns noch fröhlich hinterher. Schön, einen Leut zu treffen, der mal keine Sorgen hat. Selten, heutzutage. Wir fuhren wieder. Nach einer Weile merkte ich, daß wir in die verkehrte Richtung fuhren, sagte aber nichts. Ich sah hinüber zu Catarina. Er ärgerte sich, daß er keine DigitalCamera in Paraguay gekauft hatte. Ich antwortete mal nicht, sah ihn nur an. Er sah mich an und mein Blick schien ihn irgendwie zu irritieren. "Was ist, was schaust so blöd?" Er stand auf der Leitung. Ich sah ihn an, dann wieder auf die Straße, dann wieder ihn. Dann bremste ich und machte eine 180°-Wendung. Er langt sich an den Kopf. "Mein Gott, wir sind doch aber auch beide Vollidioten..." Wieder passierten wir den Gitarrenspieler. Saß immer noch da.

Wir fuhren wieder durch die Wüste den ganzen Weg zurück und kamen dann um halb Sieben (742.302 km) in Iquique an. Catarina konnte sich nicht einkriegen. "Wo kommt jetzt das Lichtermeer her? Den ganzen Tag fährt man durch Sand und Steine und dann sowas. Faszinierend..." Ich fragte ihn, was wir da überhaupt sollen, in diesem Iquique. "Wir müssen weiter..." Irgendwie mußte ein Gleichgewicht sein, und dafür war gesorgt. Er war bemüht, die Geschwindigkeit herabzusetzen, ich wollte sie möglichst hoch halten. Er wußte, daß wir beide gute Gründe hatten für unsere Standpunkte. Auch er wollte möglichst mit über den Darién. Das würde der schwierigste Teil der Reise werden. Er hatte nur begrenzt Zeit, so mußten wir uns auch in seinem Interesse sputen. Andererseits wollten wir beide reisen, was eben möglichst langsam vor sich gehen sollte. Er widersprach natürlich, um die Tradition aufrechzuerhalten, nach der wir beide uns ständig widersprechen mußten. "Ach, stell Dich nicht so an, wo ist denn das Problem, wenn die eine oder zwei Nächte im Hotel bleiben muß?" Dennoch hatte ich nie das Gefühl, etwas widerwillen zu tun. Das gehört so, unter Männern. Getrennt marschieren, vereint schlagen. Vor dem Supermarkt setzten wir dann die Diskussion fort. Immer noch war unklar, ob es heute abend noch weitergehen sollte oder nicht. "Alter... Das geht schief. Wir können noch 200 km schaffen. Schau mal auf die Karte, Lima ist noch ewig weit weg, es sind noch 1.700 km und wir haben effektiv noch drei Tage - und einen Grenzübergang, nicht zu vergessen.", sagte ich.
"Schau mal, es ist Nacht, wir schaffen Tagsüber mehr Kilometer als bei der Nacht. Was wir heute vielleicht schaffen, das zahlen wir morgen mit Zinsen zurück, weil Du dann länger schlafen mußt und es geht Tageslicht verloren. Abgesehen davon leidet auch der Schlaf darunter, denn jetzt ist es noch kühl, aber morgen in der Früh ist es heiß und Du setzt Dich unausgeschlafen ans Steuer..."
"Aber dann fahren wir morgen früh los, nicht erst Mittags", schärfte ich ihm ein.
"Ja, klar!", erklärte er im Brustton der Überzeugung.
"Jaja... kenn ich schon. Dann wird's doch wieder neune..."
"Und an wem liegt das?", regte er sich wieder auf, "Du Schwuchtel? Ich penn vielleicht bis Mittags, aber auf diesem Sitz hier, dabei fährt das Auto, wenn Du Schlafmütze pennst, dann kommen wir nicht vom Fleck... Ich darf ja die Karre hier nicht fahren. Klar, sowas wie heute darf natürlich nicht mehr passieren in den nächsten zwei Tagen, aber wir haben heute auch gewaltig getrödelt, erst waren wir bei den LKW-Fahrern und haben stundenlang geschwätzt, dann der Ausflug nach Pica."
"Alles Deine Schnapsideen..."
"Ja, aber war es schlecht?" Er hatte Recht.
"Nein", gestand ich ein, "hat gepaßt..."
"Eben, denn genau das ist es, was das Reisen ausmacht, und nicht von Punkt A zu Punkt B hetzen, denn wenn Du am Ende den Strich ziehst, dann ist das Schönste am Reisen das Unterwegssein", schloß er seinen Diskurs. Und fügte kleinlaut hinzu: "Und außerdem ist in der Wüste draußen kein Casino." Aus dieser Ecke wehte also der Wind...

Vor dem Supermarkt in Iquique
Vor dem Supermarkt in Iquique.

Goethe drückte seine Worte einst so aus: "Man reist nicht, um anzukommen, sondern um unterwegs zu sein." Und den hatte er unwissentlich mehr oder weniger zitiert. Wie ich es von Peter Kohle gelernt hatte, braucht man in Situationen, in denen entschieden werden muß, eine Fragestellung, die die Entscheidungfindung erleichtert. Er fragte sich damals, als er vor der Entscheidung stand, ob das Auto die Sahara auf dem Zugwagon oder auf den eigenen vier Rädern durchkreuzen sollte: "Wem vertrauen wir mehr? Mercedes-Benz oder der mauretanischen Eisenbahn? Die Frage birgt bereits die Antwort: Es wurde selber gefahren." Und ich fragte mich in dieser Situation folgendes: Goethe war ein Mann von säkularer Größe. Ich bin ein dummer Schreiner. Wer hat Recht? Ergebnis: Wir blieben in Iquique. So einfach geht das.

"Was sind wir heute gefahren?", fragte er mich, "So zwei, dreihundert Kilometer?" Ich sah auf den Tacho, machte die Rechnung und sagte dann: "651 Kilometer..." Er sah mich erschrocken an. "Sechseinhalbhundert Kilometer. Und das, obwohl wir nur getrödelt haben. Du Vierbeiner, und da schreist Du jetzt schon, wir schaffen es nicht... Dich soll doch wirklich ein LKW überfahren, Du bist ein Pferd. 1.700 km, das sind 850 am Tag. Wieso sollen wir das nicht schaffen?"
"OK. Machen wir es so: Schaffen wir es nicht, dann zahlst Du die Unkosten in Peru bis nach Lima." "Gut", sagt er, "aber was, wenn wir es schaffen?" "Dann teilen wir sie durch zwei, wie gewohnt. Ich will schließlich weiterfahren, aber Du läßt mich nicht."
"Alles Unfug, wirst sehen, ich geh heut abend ins Casino, gewinn ein paar Millionen und dann brauchst Du die Alte nicht mehr, dann kündige ich und wir fahren bis Alaska. Sieht sie wenigstens gut aus? Ich meine... sie ist doch Touristin." Ich lachte. "Ja. Deutsche Touristin, aber nicht Touristin in Deutschland. Das wird eh noch ein Spaß, wenn die da ist, Du mit Deiner Planlosigkeit und sie mit ihrem deutschen Zeitplan. Da werd ich was zu tun haben. Außerdem ist sie etwas komisch und nicht besonders umgänglich." Chancen rechnete ich mir allerdings dadurch aus, daß sie kein Wort Portugiesisch und er kein Wort Deutsch konnte. So dachte ich, entstehende Konflikte, die bei solchen Voraussetzungen vorprogrammiert ware, elegant im Nirwana verschwinden lassen zu können.

Wir gingen noch in ein Internetafé, um die Bilder auf Diskette zu laden. Das dauerte heute nicht sehr lange, denn es waren nicht viele Bilder auf der Kamera.
Kurz vor Mitternacht tankten wir dann noch in Iquique voll, um das nicht am nächsten Tag machen zu müssen. (53,95 l / 742.319 km) Dann suchten wir uns dort einen guten Nachtplatz am Meer, allerdings nicht zu weit außerhalb der Stadt. Catarina wollte schließlich ins Casino. Wir fanden neben einem geschlossenen Lokal genau am Strand ein Plätzchen, an dem wir unter freiem Himmel das Auto abparkten. Und während ich es mir auf den Blechen bequem machte und im Rauschen der Brandung einschlief, stapfte Cat los, um wahrscheinlich wieder zig Dollar zu verlieren.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold