Argentinienfahrt 2001
Sonntag, 18. Februar

Kurze Nacht. Der Nachtplatz war gar nicht so schlecht, wie ich befürchtet hatte, aber nachdem keiner da war, der einen Kakao zubereitet und den Frühstücksboden aufdeckt, fuhr ich gleich weiter. Was sollte ich hier?

Dunkle Kiefernwälder...
Erinnert in wenig an Leitershofen.

Irgendwie mußte ich an Markus denken, den wir in La Manga trafen. Er fuhr grundsätzlich alleine. Als ich mich damals mit ihm unterhielt, versuchte ich mir das vorzustellen, wie es ist, ohne Beifahrer unterwegs zu sein. In der Theorie ließen sich da gut die Pros und Contras ganz nüchtern abwägen. Nun war ich in die Verlegenheit gekommen, dies einmal in der Praxis auszuprobieren. Klar, ist das nochmal etwas anderes, wenn man in Europa alleine unterwegs ist, denn da ist man schließlich daheim, oder wenn man eine wohlbekannte Strecke einige Male alleine befährt. Das Gefühl, völlig verloren durch die große weite Welt zu reisen mag da noch nicht gar so deutlich zu spüren sein. Spätestens hier fühlte ich mich restlos bestätigt in meiner Theorie, daß man immer mindestens zu zweien reisen sollte. Wunderschön das fahren ist. Hollari, Hollaro! ...Wenn man mit zwei andern ist. Hollariaro! Umso mehr Respekt besitzte ich nun vor den Leuten, die sich wirklich alleine loswagen oder vielleicht sogar loswagen müssen, denn fortan glaubte ich zu wissen, oder zumindest halbwegs zu begreifen, wie deren Reisen aussehen müssen. Selbstverständlich kommt es auch sehr auf den einzelnen Menschentypen an, wenn auch der Mensch allgemein als Rudeltier gilt ("Homo homini lupus"). Feststehen dürfte, daß man auf sich allein gestellt ist, wenn man alleine reist und, daß mir das nicht gefallen würde und ich es in so einem Falle vorziehen würde, gar nicht erst loszufahren. Es fehlt einfach etwas, wenn man da stundenlang und -länger vor sich hinfährt, nur die Musik aus den Lautsprechern in den Ohren hat, untermalt vom braven Diesel und gestört von dem Gepolter, wenn man wieder ein Schlagloch erwischt hat. Man denkt über allerlei Unsinn nach, kann niemanden fragen, wenn man einen Gedankengang nicht allein zu Ende führen kann, versucht selbst, seine Notizen ins KTB zu kritzeln oder sich die Fingernägel zu feilen, einzelne Müllstücke, die auf der Straße herumliegen mit dem linken oder rechten Wagenrad zu erwischen, sich mit dem Benz zu unterhalten und sich selbst dann zu fragen, ob man allen Ernstes daran glaubt, daß man noch ganz dicht ist. Oder man versucht auf irgendeine andere Weise nicht einzuschlafen, und wenn man noch so gut und lange ausgeschlafen hat. Wenn wenigstens die Landschaft etwas zu bieten hätte... Wo es die Straßen zuließen wurde Vollgas gefahren - und das war selten genug der Fall.

Dem war wohl auch langweilig.
Man beachte die Tachonadel... dennoch wird man von LKW überholt.

Um 12:15 tankte ich in Passo Fundo. Auch so eine unnötige Stadt, die hier völlig unmotiviert herumsteht und die wohl nur errichtet wurde, damit man sich darinnen sauber verfährt. Daß die keine Schilder aufstellen, liegt meines Erachtens daran, daß nie ein Fremder auf die Idee käme, hier in dieser Gegend nach einer Richtung zu suchen - ist im Grunde auch egal. Wohin man auch fährt, alles gleichermaßen beschissen. Wer hier lebt, der weiß auch ohne Schilder, wie er von hier nach da kommt, aus der Stadt hinaus wollen wahrscheinlich ohnehin nur die wenigsten und wenn doch, dann ist es ihnen wohl auch egal wohin, denn es sieht sowieso alles gleich aus.

Weiter, nur weiter und das möglichst schnell. In der Sahara war es anders. Da schien es zwar auch oft so, als ob man mit dem Auto auf einem Rollband stünde, seit Stunden fährt und sich nicht vom Fleck bewegt, aber was man in der Sahara fühlt ist die Endlosigkeit, hier aber erfährt man mehr so eine Art Sinnlosigkeit, es ist komplett anders. Die Vegetation ist üppig, man sieht Menschen, Rinder, ab und zu sogar eine Wildsau, dennoch kam ich mit hier verlorener vor als irgendwo anders. Das mag auch daran gelegen sein, daß es mir diesmal nicht möglich war, langweilige Wegstücke dadurch erträglicher zu gestalten, daß man sich in irgendein sinnloses Thema hineindiskutiert, wie zum Beispiel, warum in einem solch riesigen Land einerseits riesige Ländereien brachliegen, einfach tot, während man sich ein paar Kilometer weiter um eine winzige Farm jahrelang streitet.

Als ich drei Soldaten am Straßenrand sah, die eine Mitfahrgelegenheit suchten nahm ich sie mit, obwohl ich gerade hier in Brasilien zu Uniformierten einen gewissen Sicherheitsabstand einhalte. Man freut sich doch über jede Abwechslung. Einer davon hieß mit Nachnamen "Sieben", war auch ein Deutschstämmiger, verstand mich auch, wenn ich auf Deutsch mit ihm redete, antwortete aber grundsätzlich auf Portugiesisch. "Wird höchste Zeit, daß Du mal 'ne Sprache lernst", sagte ich. Er brachte sogar ab und zu einige Sätze auf Deutsch hervor, die mich darauf schließen ließen, daß seine Vorfahren mehr aus dem Süddeutschen Raum gekommen waren: "Wann ma mol stirbt, is' grod asoo, wia wenn mer need g'lebt hätt'"

Die anderen beiden stiegen bald wieder aus, Herrn Gefreiten Sieben nahm ich noch bis São Borja mit und ließ mich auf ein Sandwich plus Cola einladen. Theoretisch hätte man hier schon nach Argentinien übersetzen können, aber ich zog es vor, doch noch bis Uruguaiana zu fahren und zu versuchen, noch in Brasilien eine Haftpflichtversicherung abzuschließen und somit den wohl einzigen Voteil dieses Landes gegenüber Argentinien auszunutzen: Die niedrigeren Preise. Feilich ist auch bei allem die Qualität niedriger, aber darauf kommt es bei Versicherungen nicht an. Versicherungen und Airbags sind was für Schwuchtel und Weiber.

Eine (!) Brücke über den Tatuí und dann auch noch so breit... Die Gegenfahrbahn ist wahrscheinlich in der Tasche eines Politikers verschwunden.

Es wurde dunkel und bei Itaquí führte die Straße mitten durch die Stadt und auch hier habe ich mich pflichtgemäß verfahren. Von Schildern keine Spur, jede Menge Einbahnstraßen und Brücken, die nur in eine Richtung befahrbar waren. "Verdammt nochmal, ich will doch nur raus aus diesem gottverfluchten, schäbigen Drecksnest, wieso können diese Kanacken nicht wenigstens die Transitstrecke ausschildern?" Diesen Ort möchte sicher kein Mensch näher kennenlernen. Kreuz und quer, bergauf, bergab durch die Ortschaft fahrende Lastautos ließen den Verdacht aufkommen, daß es wohl nicht nur mir so ging und daß also der Fehler nicht an uns Transitfahrern lag, sondern an dieser völlig bescheuert angelegten, überflüssigen Ortschaft.

Nach über einer Stunde verließ ich die Ortschaft in südlicher Richtung mit hämmernden Schläfen, Blut in den Augen und dem abartigen Gefühl, hier sofort noch aussteigen und ihnen alles zerdreschen zu müssen. So eine Zerstörungswut hatte ich schon lange nicht mehr, aber diese half wenigstens, die Müdigkeit restlos hinwegzufegen. Ständig muß man sich hier über so einen Dreck grün ärgern, nichts funktioniert und keinen kümmert's. Gut, ich bin ja selbst so, daß ich alles immer nur halb mache, wenn ich überhaupt etwas mache, aber bei den anderen kann ich mich da schon sehr aufregen. Besonders bei diesen Primaten, die sich für Herrenmenschen halten, da schwillt mir der Kamm.

Bloß raus aus diesem Drecksland...

Das sind Sachen, die mich in Afrika nicht im geringsten gestört haben, denn in keinem der von mir bereisten afrikanischen Länder wird so getan, als sei es der Mittelpunkt des Weltgeschehens und daher erwartet man es dort nicht anders, ja, es hat sogar was Sportliches, wenn der Kauf einer Schachtel Cigarretten zur Tagesaufgabe wird. Und am meisten stört mich sowas in Deutschland selbst oder Frankreich, denn da gibt es keine Entschuldigung für idiotische Beschilderung. Aber damit muß ich mich ja in der nächsten Zeit nicht rumschlagen.

In Uruguaiana - auch so ein Kaff, das seine Existenzberechtigung ausschließlich aus der Tatsache schöpft, daß es an das zivilisierte Argentinien angrenzt - angekommen quartierte ich mich im nächsten Hotel ein. "Elyt" hieß es. Ich bat um eine Taschenlampe, sowie darum, mir einige Versicherungsunternehmen aus dem Telephonbuch herauszusuchen.beides wurde anstandslos erledigt. Ich legte mich unter das Auto und zog die Schrauben am Unterfahrschutz nach, danach Duschen und nichts wie ab in die Falle, Augen zu und Abschalten... Dieses Land wird immer beschissener, je mehr man davon sieht. Ich dachte, eine Fahrt nach Süden würde vielleicht das Gegenteil bewirken.


Voriger Tag Zum Anfang Nächster Tag

[Hauptseite] [Besolds W123] [Reiseberichte] [Gästebuch]
© by Markus Besold