Gammel in Mexiko 2003
Montag, 26. Mai

Gemütlich Boden schleifen. Zwischendrin ging ich mal zum Laden, um einige Sachen einzuordnen, zum Beispiel, die Tetrapacksäfte. Sofort kam der Angestellte, der am wenigsten Hirn hat angerannt und führt sich auf. Wörtlich verlief der Dialog etwa so:
"Das ist Mist, was Du da machst, die Säfte gehören auf den Tisch."
"Wieso? Die Säfte müssen kalt sein."
"Aber in den Kühlschrank kommt abends das Brot rein."
"Ja, und die Kunden kommen tagsüber, also laß die Säfte tagsüber drin, ich hol sie am Abend raus..."
"Nein, das ist Mist, weil wenn die Säfte runterfallen, dann springt das Plastikteil ab und dann kauft es keiner mehr."
"Die wirft keiner runter, dazu sind sie nicht gedacht."
"Ich mach die Arbeit schon seit zwei Jahren, das was Du machst ist Mist."
Das typische, wieder mal. Ich fühlte mich an die Zeiten erinnert, als ich beim Weltbildverlag arbeitete. Genau das gleiche, nur in Deutsch:
"So macht man das nicht, das macht man so."
"Ist doch egal, wie man es macht, Hauptsache, die Wägen werden voll."
"Nein, man muß sie so vollmachen und nicht anders."
"Ich hab in der Zeit, in der Du einen Wagen vollgemacht hast, drei Wägen erledigt, was ist daran falsch?"
"Weil wir das schon immer so gemacht haben und nicht so, wie Du."
Das ist also kein Mexiko- oder Drittwelttypisches Problem, ich denke, das liegt daran, daß das Problem mit der Depperlarbeit verbunden ist, die diese Leute ihr ganzes Leben lang machen. Sie müssen ihre Nonsens-Arbeit zu einer Wissenschaft erheben, damit sie ihr Dasein rechtfertigen und wenn man ihnen sagen würde, daß ihre Arbeit, der sie tagaus, tagein, nachgehen, etwas dermaßen Stumpfsinniges ist, daß es kein Mensch braucht und das es jeder Idiot machen kann, dann begehen sie alle Selbstmord und es läuft wirklich nichts mehr, denn irgendwer muß ja die Bücher in die Kartons werfen und die Säfte einordnen.
Ich hatte aber keine Lust, mich schon wieder in die düsteren Kellergewölbe der Arbeitswelt zu begeben, das hat mir ja gerade noch gefehlt. Stattdessen wollte ich mal wieder den Diesel singen hören. Ich ging zum Auto und erkannte gleich beim ersten Umdrehen des Schlüssels, daß der erste Startversuch scheitern würde: Nicht einmal die Lichter brannten. Ich machte die Haube auf, schloß die Hilfsbatterie an, startete. Wieder nichts. Der Motor drehte langsam, startete aber nicht. Dewey war auch da. Der hatte sich einen Bösen Sonnenbrand geholt. Er fragte mich vor ein paar Tagen, warum ich immer so seltsam bekleidet wäre. Ich versuchte es ihm zu erklären, es sei ein Unterschied, ob man hier 14 tage in Urlaub fliegt oder ob man ein paar Jahre mit dem Auto reist. Da muß man am Gewicht sparen und kann nicht für jede Gelegenheit eine passende Garnitur mitnehmen, sondern man muß das mitnehmen, was am Zweckmäßigsten ist. Darüberhinaus hätten selbst hier diese Klamotten ihren Sinn. Ich habe immer alle meine Papiere bei mir, die Moskitos nerven nachts nicht allzusehr und tagsüber muß ich mir um UV-Strahlen auch keinen Kopf machen. Der Straßenkehrer, z.B. hat immer lange Klamotten an und die sind auch noch schwarz. Und der, der hier jeden Tag am Arbeiten ist, der weiß genau, warum er diese Klamotten trägt und nichts anderes. Dewey ließ sich aber erst überzeugen, als er seinen Sonnenbrand hatte, ab da sah man ihn auch nur noch in langen Klamotten. Die Bilder: Stadium I am Tag des Sonnenbrandes und Stadium II am Tag danach. hatte einen Passanten angeschwätzt und dieser bot mir Starthilfe an. Er fuhr seinen Van vor den Daimler, wir nahmen seine Kabel. Wieder das gleiche. Dreht langsam, startet aber nicht. Als dann eines seiner Kabel durchschmorte, ließ ich es bleiben. Ich setzte zusammen mit Alberto das Kabel wieder instand. Als wir wieder hinausgingen hatte sich eine Menge Zuschauer versammelt. Keiner von ihnen glaubte, daß dieses seltsame Auto, das schon seit über einem Monat vor dem Hotel stand und bereits zum Straßenbild gehörte, auch einen Motor hatte und fahren konnte. Der Passant fuhr den Van wieder vor den Daimler und ich schloß diesmal jeweils zwei kabel an jedem Pol an, begab mich in die Kanzel.

Alberto und der Vanbesitzer.
Einmal vorglühen, kurz den Schlüssel in die Startstellung, eine Umdrehung und der Motor lief.

Da war es wieder, das herrliche, gleichmäßige Hämmern. Es gab standing Ovations. "No need for that, it's a german Diesel!" Das Problem hatte am Kabel gelegen, die dürfen normalerweise gar nicht heiß werden, geschweige denn durchschmoren. Ich fuhr los, einfach nur, um zu fahren. "Hörst Du, Fahrer, den Klang der Motoren, spürst Du des Motors stürmende Kraft? Hörst Du, die Herzen, der Heimat schlagen?" Er kam mir auch gar nicht mehr so lahm vor, wie am ersten Tag, der alte 200er, was ich darauf zurückführe, daß ich damals, frisch aus Deutschland eingetroffen, noch den 290 TDT gewohnt war, der ziemlich schnell und spritzig ist. Aber ein Sensibelchen durch und durch, nichts für große Touren weitab der Zivilisation (= Ersatzteilversorgung). Quo vadis, Mercedes..?
Ich fuhr und fuhr fröhlich quer durch Playa, bis ich zum zweiten mal an der Werkstatt vorbeikam, die dem Vater von der Frau von Peter gehört. Dort ließ ich die Hilfsbatterie laden, dann fuhr ich weiter, hielt mal an, um die noch vorhandenen Scheiben und Fenster vom Dreck zu befreien, fuhr bei Autoclimas del Carmen vorbei, um nachzufragen, wann ich mal das Auto dalassen könnte. "Mañana en la mañana." Na, gut, so unverbindlich, wie er es sagte nahm ich es auch auf. "Morgen in der Früh" heiß exakt "Irgendwann in der Früh."
Ich fuhr wieder zum Hotel zurück. Das kanadische Pärchen, das gestern angekommen war, saß vor der Rezeption. Er kam zu mir und meinte: "La puta loca!" Ich verstand nichts. "The crazy bitch!" "Moment, ich park schnell und komm dann..." Ich parkte den Daimler wieder an seinen Platz, nahm das Bedienteil vom Radio ab, den Motor ließ ich laufen. Die beiden kamen schon an "So, tell me the story..." Er wollte anfangen zu erzählen, aber seine Partnerin übernahm das Wort. Sie hätten die kanadierin in Zimmer Neun gebeten, die Musik leiser zu drehen. Das hätte sie auch für ein paar Sekunden gemacht. Als es dann wieder lauter wurde, klopfte er an die Wand. Sie kam herüber und schlug ihm drei Mal in die Fresse. "Ja, und was soll ich jetzt machen? Schau Dich an, Du bist ein kanadischer Bulle, wiegst gut und gern Deine 300 kg und läßt Dich von so einer Plastikpuppe verprügeln. Hättest sie halt mal kurz angeschnippt, schlimmstenfalls hätte ich Dir dann ein Bier spendiert, ihre Sachen Verkauft und das Zimmer wäre frei...", ich mag nämlich diesen Tekknodreck den ganzen Tag auch nicht außerdem stinkt das Zimmer wie ein neunstöckiges Freudenhaus. Da aber seine Partnerin angedroht hatte, daß sie die andere "killen" würde oder wahlweise, das Geld zurückzuverlangen und in ein anderes Hotel zu gehen, blieb mir nicht viel übrig. Ich hatte weder Bock, das ganze Silikon hinterher aufzuwischen, noch hatte ich Bock, das Geld in die verkehrte Richtung fließen zu sehen. Ich gab ihnen als das Zimmer 12 im anderen Flügel. Ich denke Peter hätte das Selbe gemacht. Wir unterhielten uns noch über verrückte Indianer in Kanada, die ihre Freude daran hatten, Fischfabriken und Fischkutter abzufackeln.
Als ich wieder hinunterging, stand vor dem benachbarten Restaurant ein weißes Auto. Ich erkannte Beltran wieder, das war der Bulle, der meinen LapTop wiederbeschaffen soll. Ich ging zum Restaurant und fragte Jorge, den Diensthabenden, was da los sei. "Die haben so eine Ratte erwischt. Hat versucht, eine gestohlene Digitalkamera zu verkaufen. Die gehen jetzt allem nach, was er sonst noch so verkauft hat." Wie sie gewußt hätten, daß er vorhatte, die Kamera zu verkaufen. Der ist von irgendwem hingehängt worden. Jawohl. Immerhin...
Ich stieg wieder ein, holte die Hilfsbatterie ab und fuhr nach Puerto Aventuras, damit der Daimler wieder laufen konnte. Die ständige Rumsteherei bringt das beste Auto zu Fall...
Einige Minuten, nachdem ich wieder geparkt hatte, kam José an. Er wollte sich für die nächsten drei Wochen eine Arbeit suchen. Das ist gut, je mehr Kohle, desto besser. Ich wusch die Wäsche und wartete auf irgendeine Kirstin Hoppe aus Deutschland. Die hatte gestern angerufen und sich angemeldet, sie käme in der Nacht. Kurz vor Mitternacht waren sie da.


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