12. bis 19. Juli 2003

Nun fehlt die Zeit, Berichte zu schreiben. Das meinte Eikka, als er sagte, "I don't like the velocity of life in the US". Es ist einfach schneller, das Leben hier und man wird unweigerlich erfaßt - entweder man hält mit oder man bleibt auf der Strecke. Das ist Kapitalismus. Daher gehe ich dazu über, es bei Wochenberichten zu belassen.
Los Angeles soll ja so gefährlich sein, heißt es immer und überall. Ich hatte eigentlich so etwas wie São Paulo erwartet, bevor ich herkam, aber es sind zwei Welten. Und ich werde das Gefühl nicht los, daß meine Suche hier langsam zum Ende kommt. Es ist nur noch die Feieinstellung notwendig. Es gibt einfach nichts, worüber ich mich noch beschweren könnte. Das Wetter ist perfekt: Nicht zu kalt, nicht zu warm, man braucht weder Heizung noch Klimaanlage. Regen gibt es um diese Jahreszeit sogut wie keinen. Autoersatzteile für Mercedes gibt es mehr als genug und ziemlich günstig. Übrigens bekommt man hier erstklassig erhaltene 123er für kleines Geld.
In diesem Land fand ich alles, was ich mir eigentlich von Südafrika versprochen hatte. Diese Gegend der USA scheint die positiven Eigenschaften der zivilisierten Welt und der sogenannten dritten Welt zu vereinen. Man wird hier im allgemeinen nicht belästigt und sehr höflich und zuvorkommend behandelt. Man kann aussehen wie man will, keiner schreit einem "Bin Laden" nach, und von der Paranoia, die das Land seit dem 11. September erfasst haben soll, merke ich hier überhaupt nichts. Und selbst meine Befürchtung, daß man gesteinigt würde, wenn man keine Ami-Flagge am Auto hat, sah ich nicht bestätigt. Haben hier die wenigsten. Auch hört man oft kritische Töne, was die Politik angeht und man kann auch mal sagen, daß derjenige, der ständig austeilt, sich nicht zu wundern braucht, wenn die anderen auch mal einen Treffer landen. "Freedom of speech", was man in Deutschland nur zu kennen glaubt, ist hier an der Tagesordnung.
Mit der Polizei habe ich persönlich bisher nicht eine schlechte Erfahrung gemacht, insofern kann ich auch das Gerücht nicht bestätigen, wenn man Amerika als Polizeistaat bezeichnet. Die wollen nicht mal Papiere sehen, man drängt sie ihnen förmlich auf.
Natürlich ist das hier auch kein Paradies, es gibt auch gravierende Nachteile. Am Schlimmsten sind wohl der Cigarettenpreise. Mindestens so teuer wie in Deutschland. Aber das Diesel ist sehr billig und gleicht das sehr gut aus.
Man sieht auch hier, wie in Mexiko, in Peru und sonstwo allerorten Leute, bei denen der amerikanische Traum bitter in die Hose ging. Aber es gehört dazu, sonst wäre es wohl das Land, in dem Milch und Honig fließen, was viele sicher glauben. Aber Milch und Honig fließen hier nur für die, die auch etwas dafür tun. Sei es durch Arbeit, sei es durch eine neue Idee, sei es durch Politik, durch Glück oder was auch immer.

Kapitalismus, meiner Meinung nach eine besondere Form des Darwinismus.

Es ist kein Land für alte Leute, auch wenn es eine Altersvorsorge gibt, auch nicht für Behinderte, obwohl die völlig überrepräsentiert sind, wenn es ums Parken geht. Geistig behinderte findet man meistens unter den Pennern. Die haben keine Chance, wenn sie niemanden haben, der für sie sorgen kann und will, so, wie hier keiner eine Chance hat, der einfach nichts tun will. Das Land gibt einem eine Fülle von Möglichkeiten, man muß sie aber selbst zu nutzen wissen. Es läßt einem sozusagen die Tür offen, durchgehen muß man selber. Es ist nicht, wie in Deutschland, wo übermäßig Begabte gebremst und Arbeitsunwillige gefördert werden, um ein Gleichgewicht herzustellen. Wenn man gerne mit dem McDonald's-Becher an der Ampel stehen und betteln will, kann man das tun. Von mir hat schon in Afrika niemand etwas bekommen, denn wenn man da anfängt, dann wird man arm, und wieso soll man dem hier was geben und den 20 anderen nicht? Aber wenn hier einer dransteht, der über zwei Hände verfügt und einfach nur zu blöd ist, für sein Geld etwas zu tun - Möglichkeiten gibt es überall - dann soll er da stehen bleiben, bis er schwarz beziehungsweise weiß wird. Und ich rede hier von den Leuten, die was tun können und nicht von denen auf dem Bild, das zufälligerweise einen Block vom Home Depot aufgenommen ist, wo sich jeder hinstellt, der sich ein paar Dollars verdienen kann und auch will. Wenn man seine 2000 Dollar im Monat haben möchte, kann man sich die mit Leichtigkeit verdienen, indem man irgendeine idiotische Arbeit verrichtet und wenn man sich eine Million verdienen will, dann geht das auch, es ist nur schwieriger, sonst würde es jeder tun. Amerika wird nicht umsonst "das Land der unbegrenzten Möglichkeiten" genannt. Verstanden habe ich das nie, bis ich es selbst mit eigenen Augen sah.
Am 16. ereilte mich ein eMail meines Vaters. Seine Brieftasche wurde am Münchener Flughafen aus dem Auto entwendet. Wenn man 50 Jahre lang sich weigert, das Auto abzusperren, dann muß das irgendwann passieren. Da stand ich dann da und checkte meine Finanzen. Knappe 100 US$. Jetzt wurde es interessant. Das war mir schon einmal passiert, in Brasilien. Plötzlich ergab mein Kassensturz umgerechnet 5 DM. Dann sah ich mich erst etwas blöd um, fragte mich, ob ich mir dafür Orangen oder Cola kaufen sollte und entschied mich dann für die Orangen. Aber dort war es anders. Dort hatte ich zu Essen und ein Dach über dem Kopf, im Notfall noch Verwandte, die man angratteln konnte. Soweit kam es allerdings nicht, weil ich das Haus dann doch vermietete. In Brasilien kam ich außerdem mit 40 Dollar im Monat bestens aus. Der Daimler fuhr mit Salatöl, das es an jeder Frittenbude umsonst gab, Essen gibt es überall in Hülle und Fülle und das auch noch hochqualitativ, ohne BSE, so brauchte das Geld eigentlich nur für Cigaretten.
Hier in den USA hatten meine Eltern kein Haus, weil mein Vater konsequent jedes Angebot, das er aus den USA bekam ausschlug, hier hatte ich keine Verwandten und hier gibt es rein gar nichts umsonst. Nichts. Alles kostet Geld, denn alles dreht sich um Geld. Und nun mußte etwas geschehen, denn jetzt fehlte die Rückversicherung in Form von Pappas Visa-Karte. Nun konnte ich es drehen und wenden, wie ich mochte, ich glaubte, Onkel Sam deutlich sagen zu hören: "Vogel, friß oder stirb, setze Dich durch oder werde vernichtet, erhalte Dir Dein Leben, oder gib es für andere..." Natürlich ist das übertrieben, nicht wörtlich zu nehmen, aber im Grunde verhält es sich doch so. Man kann es auch weniger kraß ausdrücken: "Es beherrscht der Obulus seit jeher unsern Globulus, mit andern Worten: Der Planet sich primär um das Eine dreht. ( EAV, "Geld oder Leben" )"


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