Panamericana-Tour 2002
Freitag, 26. Juli

Ich schaffte es tatsächlich und wider Erwarten, um 5 Uhr aufzustehen. Und das, nachdem ich bis um 2 Uhr Nachts noch rumgeräumt habe, um das Zimmer ordentlich zu verlassen. 5:30 Uhr hatte ich am Vortag mit Catarina ausgemacht - nachdem wir die Abfahrt auf meinen Wunsch schon gestern um einen Tag verschoben hatten. Als einziges im Haus war die Traudl wach. Ich verabschiedete mich und zog langsam los. Irgendwie komisch. Auch diesmal keine Aufbruchsstimmung. Nicht so, wie bei den anderen Fahrten, möglichst schnell raus aus diesem Pissland, und das für möglichst lange. Wie damals im August 2000, als ich in Deutschland losfuhr. Heute weiß ich, daß es in der damaligen Situation das einzig richtige war. Hoffentlich ging es mir in zwei Jahren in Bezug auf Brasilien genauso. Wer weiß, wo man diesmal tatsächlich landet. Mexiko war genauso ein grobes Ziel, wie damals Südafrika wenn auch der Weg hier um einiges einfacher schien. Aber das konnte genausogut eine Wunschvorstellung sein. Immerhin hatte ich bezüglich Afrika gründlich recherchiert. Von der Panamericana wußte ich sogut wie nichts, außer, daß am Darién etwa 84 km Straße einfach fehlen...

Mir krieste Mephistopheles' Ausspruch im Kopf herum: "Mit wieviel Wehmut läßt man manchen Ort und kann doch nun einmal nicht bleiben..." Zu allem Überfluß hatte ich vor sechs Wochen mit Ingrid eine kleine Meinungsverschiedenheit und die ist bis zu meiner endgültigen Abreise nicht ganz zugeheilt. Ich weiß ganz genau, warum ich mir ein Auto zugelegt habe anstatt einer Frau...
Klar, schaffte ich es nicht, rechtzeitig bei Cat zu sein. Um 6:07 Uhr fuhr ich nämlich erst von zu Hause los (km 736.479) - dasselbe Haus, das ich schon einmal mit ähnlichem Gefühl verließ, nämlich im Juni 1987. Ich wünschte mir damals nichts sehnlicher, als endlich zurück nach Deutschalnd zu gehen, doch als die Stunde der Abreise schlug, war ich mir darüber nicht mehr so sicher, wie in den Monaten und Jahren zuvor. Hier ging es wieder fort davon, genau 15 Jahre später. Diesmal saß ich allerdings selbst am Steuer, statt auf der Rückbank.

Um kurz vor halb Sieben rollte ich bei Cat an. Wir kamen hier jedoch relativ flott los, obwohl erst noch das eine oder andere eingepackt werden mußte. Er hatte seine halbe Wohnungseinrichtung dabei und es mußte noch Stauraum für Gabi übrigbleiben. "Du Hirsch. Als ich sagte, 'eine Luftmatratze wäre praktisch', meinte ich nicht ein King-Size-Luftbett. Was ist daran noch praktisch?" Aber er ließ sich nicht abbringen. Es mußte mit. "Vielleicht kann man es irgendwo gegen ein paar Liter Diesel eintauschen..."

Rua Almirante Noronha 28, 19. Dezember 2000Wir waren entschlossen, diesmal wirklich loszufahren. Das geschah dann um 6:43 Uhr (736.486). Der Tank war - wie immer - leer, also nächste Tanke anfahren. Mein alter Herr hatte mir am Vortag großzügigerweise tausend Dollar dagelassen. Aber das waren harte US$ und keine brasilianischen MickyMaus. Doch da Dollar für die Brasilianer "nichts Wert sind", mußte fürs erste Catarina mit seiner Bankkarte für all das blechen, was in Brasilien so anfiel. Das Diesel, das in letzter Zeit unverschämt gestiegen ist, die sinnlose Mautgebühr für Erhalt und Ausbau der Schlaglöcher, Verpflegung... eben alles, was so anfällt. Ein sinnvolles Teilen der Spesen sähe so aus: Er zahlt die Maut auf brasilianischer Seite, ich einen neuen Satz Stoßdämpfer, wenn wir in Argentinien sind. Dann wären wir quitt.

Noch einmal ging es durch Campinas. Ich dachte, diesen Film schon mal gesehen zu haben, aber damals in Augsburg war alles eine Nummer depressiver, denn ich saß auf dem Beifahrersitz. Hier war ich selbst am Steuer und das wird sich auch nicht ändern - zumindest nicht in meinem Auto.
Alles zog noch einmal vorbei. Die Werkstatt des Japaners, der unzählige Male dem Benz nach tausenden von Kilometern auf argentinischen, peruanischen, bolivianischen Pisten oder - noch weitaus schlimmer - brasilianischen Straßen, Spur und Sturz wieder geradestellen mußte, die Norte-Sul, die Churrasqueria, in der ich während meines Brasilienaufenthalts für wenig Geld einige Rinder verzehrt hatte. Man schätzt halt die Dinge immer erst, wenn man im Begriff ist, sie zu verlieren. Hätte nie gedacht, daß ich mich einmal nicht wirklich freuen würde, aus diesem Kackland hinauszufahren.

Wir tankten den Dieselbunker voll und zwei 20-Liter-Trinkwasserkanister mit Alkohol von der Zapfsäule. Der ist nirgendwo billiger als in Brasilien und ich denke 40 Liter reichen, um die Bordküche für die nächsten Jahre zu versorgen. Danach ging es auf die sogenannte Autobahn in Richtung Indaiatuba.
Wie wir da so vor uns hinfuhren und uns unterhalten, hupt es plötzlich neben mir. Ich schau hin und sehe längsseits eine XT600. Eduardo auf dem Weg in die Arbeit. Haben wir es doch noch geschafft, Aufwiedersehn zu sagen. Obgleich es auf das nicht wirklich ankommt, denn in der letzten Woche habe ich mich ungefähr zweihundert mal "endgültig" verabschiedet. Jedes mal, wenn ich abends bei Lorenas wieder läutete, wie fast jeden Tag seit November 2000, war das Gelächter groß. Die Haustür ging auf: "Und? Wie war's in Mexiko?"
Ich winkte immer ab "Fresse halten..."
"Wann fährst jetzt denn mal wirklich los?"
"Morgen vielleicht nicht..."
"Gib's zu, Dir gefällt es in Brasilien und Du hast keinen Bock auf die Sombreros."
"Still sollst sein. Und mir eine Cigarette geben!"
Sein erster Kommentar, als er seinen Helm abgenommen hatte: "Jetzt glaub ich Dir, daß Du losfährst. Aber falls Du es Dir wieder anders überlegst... beim Thiago ist heute abend Grillparty." Es würde schon gehen, diesmal. War nur ein kurzer Händedruck "Aufwiedersehen". Man sieht sich schon wieder, irgendwann.
Weiter ging es. Wir passierten ein Mauthäuschen nach dem anderen und zahlten kräftig. Schon nach wenigen Kilometern "Autobahn" war ich wieder völlig hergestellt. Ich brannte darauf, endlich dieses gottverdammte Land zu verlassen.

Aber so schnell sollte es nicht dazu kommen, denn der Weg bis zur Grenze war noch weit. Gegen 10:00 Uhr (km 736.695), kaum 200 km nach der Abfahrt, meldete sich die Gelenkwelle mit einem leisen, aber fiesen "Tacktacktacktack". Das würde erfahrungsgemäß immer lauter werden. Auch das noch. Ausgerechnet jetzt. Hätte das nicht noch warten können bis Argentinien? Es half alles nichts. Das abgedroschene "Wehret den Anfängen" griff bei mir zum ersten Male und wir fuhren bei der nächsten Autobahntanke raus. Die hatte zum Glück eine Grube und auf diese stellten wir das Auto. Ich sah mir die Bescherung an: Wie ich mir schon gedacht hatte, war eine Manschette der Gelenkwelle im Eimer, das Öl heraußen und der endgültige Ausfall der Gelenkwelle nur noch eine Frage der Zeit - wenn nicht sofort Erste Hilfe geleistet wird. Eine Neue gibt es frühestens in Argentinien. Und da waren wir noch lange nicht. Cat bewies handwerkliches Geschick. Ich hatte, weil ich dieses Problem bereits erwartete, einen Motorradreifenschlauch in die Ersatzteilkiste gepackt. Während ich die Welle an der Radnabe abnahm, schnippelte Cat den Schlauch zurecht und zog ihn auf die Welle. Die eine Seite wurde mit Draht befestigt, dann wurde die ganze Chose mit einer Mixtur aus Motorenöl und Kugellagerfett gefüllt und auf der anderen Seite ebenfalls mit Draht verschlossen. Das sollte für's erste mal halten. Um dreiviertel zwölf waren wir wieder auf der sogenannten Autobahn. Kein Geräusch mehr bei großer Fahrt. Ganz leise!

Nun ärgerten uns nur noch die Mauthäusle. Die sorgten auch dafür, daß kräftig über das Land und das dazugehörige Diebsgesindel gelästert wurde. Ein paar Stunden noch, dann würden wir aus diesem Zoo heraus sein und diese Halbaffen hinter uns gelassen haben, die nichts haben als einen vollkommen substanzlosen Nationalstolz. Wer auf so ein Land stolz ist, dem kann nur durch eine Kugel in den Kopf geholfen werden - Gelegenheiten dazu findet man buchstäblich an jeder Ecke. Hinstellen, blöd schauen, der Rest passiert von selbst.

Folgendes galt seit Afrika, aber nicht nur dort: Entweder man hat Zeit, oder man hat Geld. Wir hatten es eilig. Aber Gabi hatte im letzten August die Koordinaten der Mautumfahrungen aufgeschrieben und die gab ich jetzt, während der Fahrt, die hauptsächlich darin bestand, den Schlaglöchern auszuweichen, in das Gerät ein. Dazu hatte ich ja seit letztem August kaum Zeit gefunden... Diese Koordinaten halfen uns bei der Umfahrung einiger dieser Wegelagererhütten. Nicht bei allen, wenn man zum Beispiel hätte drei Wegpunkte markieren sollen, aber nur zwei da waren. Dann konnte man in einem Gewirr von Feldwegen nach dem richtigen raten. Für die Zukunft gemerkt...

Um viertel nach Zwei (736.870) legten wir einen kurzen Stop in Ourinhos ein. Cat mußte noch etwas wichtiges abschicken und der Benz brauchte Diesel. Ourinhos schien ein nettes Kaff zu sein. Aber alles was ich wollte war, unverzüglich zur Grenze zu gelangen. Ohne großen Aufenthalt fuhren wir daher weiter. Um zwanzig vor Drei hielten wir an einer Tankstelle in irgend einem gottverlassenen Drecksnest, um einen 40-Liter-15W40-Motorenölkanister aufzuladen. So billig wird das Öl nirgendwo mehr sein. Vielleicht in Equador, aber die vorhandenen Vorräte (0,2 l) würden voraussichtlich bis dorthin nicht ganz reichen. Ich hatte meine Lektion gelernt: In den Anden muß für das reichliche Vorhandensein von Öl gesorgt sein.

Am Abend hielten wir auf Catarinas Geheiß an einer Raststätte. Wir hatten Hunger. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß es doch günstiger wäre, etwas zu kochen, als hier zu essen. Er berichtigte mich: "Es ist wohl billiger, etwas zu kochen, als hier Essen zu kaufen, aber davon war ja nicht die Rede." "Willst Du es etwa klauen?" Er winkte ab, ging hinein, brauchte eine Weile und kam dann mit zwei dieser "Marmitex" genannten Mahlzeiten wieder heraus. Vollwertig: Fleisch, Reis, Bohnen, Salat, das ganze warm und frisch zubereitet. Das dürfte für längere Zeit die letzte vollwertige Mahlzeit sein, darüber war ich mir ziemlich sicher. Die letzten zwei Mauten vor Foz do Iguaçú zahlten wir auch. Es war schon spät. Um punkt Mitternacht (737.374) hielten wir noch einmal an einer Tankstelle an. Im Dauerbetrieb hält ein Tank etwa um die acht Stunden, je nach Zuladung und Fahrweise. Er war folglich fast leer und mußte wieder vollgelassen werden. Dabei noch kurz das Öl überprüft, zufrieden genickt und weiter ging's...


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