Panamericana-Tour 2002
Mittwoch, 14. August

Der Morgen war wolkenbehangen, und als wir uns gerade Startklar machten, kamen zwei Autos mit argentinischem Kennzeichen angefahren. Sie stiegen aus und fragten uns nach dem woher und dem wohin und erzählten, was sie vorhätten. Die PanAm hinauf bis nach Venezuela, von dort aus wieder nach Argentinien zurück. Das ganze in anderthalb Monaten. "Ein bißchen wenig Zeit, findet ihr nicht?" Mit brauchbaren Tips konnten wir uns gegenseitig leider nicht versorgen, da wir beide in dieselbe Richtung fuhren und beide zum ersten mal. Und wir waren viel langsamer als sie. Sie fuhren weiter, wir packten unsere Sachen zusammen und taten es ihnen gleich.

Unser Nachtplatz an der Tankstelle hinter Lima.

In einem kleinen Kaff, dessen Name mit längst schon wieder entfallen war, kurz nachdem wir sie verlassen hatten, hatten wir Sachen zu erledigen. Das Kaff lag allerdings nicht, wie erwartet an der Straße, sondern man mußte sie verlassen. Das war schon mal das erste, das erst auf den zweiten Anlauf klappte. Wir kauften frisches Brot und ich fragte mich durch, wo man Geld wechseln kann. Wir fanden eine Wechselstube. Ich pfiff den Typen heran und fragte nafch dem Kurs. Er sagte ihn mir. Hinter mir war die Polizei und ich blockierte gerade fragenderweise die Kreuzung. "Ich fahr um den Block", sagte ich ihm und fuhr los. Einmal um den Block, was sich eine Weile hinzog, denn ind er Stadt herrschte Gedränge. Als ich wieder ankam, war der Typ schon wieder drinnen. Ich nannte ihm den Betrag, den wir wechseln wollten, er richtete das Äquivalent in Peruanisch her. Schon wieder waren die Bullen hinter uns. Ich beobachtete ihn, damit er keine Tricks versucht, drängte ihn zur Eile, weil die Bullen sich gleich wieder aufführen und hielt die Dollars so lange fest, bis ich das Geld in der Hand hatte. Dann ließ ich los und reichte den Bündel an Cat weiter, ohne allerdings den Wechsler aus dem Auge zu lassen. "Zählen", sagte ich zu Cat. "Stimmt", kam die Bestätigung. Gas und weg. So müßte es immer klappen. Zackzack und weg. Leider war das hier eine Ausnahme. Normalerweise läuft es so ab, wie im Jahr zuvor, daß ein uniformierter Hotelpage meint, besonders schlau zu sein. Aber wirklich beschissen wurden wir beim Geldwechseln niemals. Wenn überhaupt, dann nur durch den offiziellen Kurs.

Das trostlose Kaff, in dem wir kurz zum Wechseln anhielten.

Ich fuhr in eine weitere Ortschaft hinein und sah, wie ein Polizist mich zu Halten pfiff. "Scheiße, was will jetzt der? Gabi, den Fake-Geldbeutel her, schnell..." Ich hatte natürlich einen etwas längeren Bremsweg und kam etwa 100 oder 150 Meter hinter dem Polizisten zum Stehen. Ich fuhr auf dem Schotter rückwärts und stieg aus. "Hallo, was gibt's?" Er fragte nach dem Woher und dem Wohin und natürlich lief es - wie immer bei solchen Begebenheiten - darauf hinaus, daß er Geld wollte. "Hier ist 70. Wie schnell bist Du gefahren?" Die einzig logische Antwort: "So schnell, wie alle anderen auch..." Nur waren in diesem exakten Moment leider keine anderen da. Er fragte nach dem Kofferrauminhalt. Leider war für ihn da nichts Interessantes drin. "Wieviel Geld hast Du denn da?" Ich tat möglichst unschuldig, suchte in meinem Geldbeutel, während ich von den großartigen Vorteilen einer Kreditkarte schwärmte, und gab ihm dann die Antwort: "Acht Dollar". Irgendwie hatte ich keine Lust, ihm zu erklären, daß ich keinen Bock hatte, für Nichts und Wiedernichts zu zahlen. Ich gab sie ihm einfach und wir konnten weiter. Klar hätte ich mir das sparen können. Andererseits bildete ich mir ein, daß der Druck von beiden Seiten kam: Der Bulle wenn ich nicht zahle, aber damit kann ich mittlerweile umgehen und es aussitzen, und der Druck von Gabi, wenn es nicht schnell weitergeht, denn wir sind ja auf der Flucht, nicht im Urlaub. Acht Dollar kostete hier der Kompromiß. Das ist unüblich. Und ich gehe nicht einmal soweit zu sagen, daß es an Gabi lag, daß ich bezahlte. Ich sage nur: Mit Almut wäre mir das nicht passiert. Was aber weder an Almut liegt, noch an Gabi, sondern es liegt an mir: Almut ist die Ruhe in Person, Gabi ist eine Streßeule, beide Charaktere wirken sich selbstverständlich auf mein Verhalten aus und auch umgekehrt. Meine Schimpftiraden erzeugen bei Almut ein ganz anderes Verhalten als bei Gabi. Almut kriegt eher Angst, während Gabi drüber lacht. Das Zusammenleben an Bord wird natürlich von den verschiedenen Charakteren geprägt - von was sonst? Von den äußeren Gegebenheiten, natürlich. Denn es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man an der spanischen Costa Braba oder an einer vom Ausbruch eines Bürgerkrieges bedrohten Elfenbeinküste unterwegs ist.

Und wieder ein Sonnenuntergang in der Wüste... wer weiß, wie lange sie uns noch umgibt.

Ich dachte, die Wüste endet hier irgendwo. Es wurde tatsächlich etwas grüner, allerdings hielt es sich nicht lange. Schon bald waren wir wieder mitten unter Sanddünen. Von mir aus könnte es ewig so bleiben. Catarina mochte es auch, doch Gabi hätte es gern etwas grüner. Grün bringe ich immer in Verbindung mit Lärm, Dreck, Regen, Mücken und Schlafplatzmangel, wohingegen Wüste grundsätzlich mit dem Gegenteil verbunden werden kann. Doch auch da war keine Einigkeit herbeizuführen. Gabi wollte in der Wüste übernachten, ich auch, doch Cat lieber in der Stadt. Komplizierte Angelegenheiten. Grundsätzlich sah ich Cat als den kompromißbereiteren an und so versuchte ich, die Sachen so zu legen, daß ihm immer etwas mehr aufgebürdet wurde als Gabi. Er ist nicht so laut und unter Männern kann man immer noch vernünftig reden, während ich mit Frauen schon immer Probleme hatten. Irrational bis zum Anschlag, kann man sagen, da kommt man mit Logik nicht weit, man muß die Gefühle ansprechen, statt den Verstand, und daher geht es immer daneben. Abgesehen davon, daß ich keine Lust hatte und habe, mich damit herumzuschlagen, mir zu überlegen, was ich schon wieder falsch gemacht haben könnte. Alles Zeug, womit man sich genug in Deutschland herumgeschlagen hat und unterwegs eigentlich nicht braucht.

An diesem Tag fuhren wir hauptsächlich durch das Nichts, ab und zu kreuzte eines der typisch peruanischen Käffer unseren Weg. Alles durcheinander, halbfertige Neubauten zwischen halbverfallenen Altbauten, alles hinter einer Drecksschicht, was sehr angenehm ist, weil der Benz da ziemlich gut hineinpaßt. Fahrräder, Rikschas, bei denen sich die Passagiere um die Richtungsanzeigen kümmern mußten, weil es den Fahrer herzlich wenig kümmert. Immer wieder sahen wir Passagiere, die die Hand herausstreckten, um den Rückwärteigen Auto-, LKW- und Busverkehr darauf aufmerksam zu machen, daß die Rikscha gleich quer über die Fahrbahn ziehen würde, um eine Abbiegung zu veranstalten. Auch brutal tiefe Schlaglöcher passierten wir mancherorts. "Und? Fühlst Dich schon wieder wie zu Hause, oder?", fragte ich Catarina. "Also, wenn das hier mein zu Hause wäre würde ich mich als erstes erschießen und dann erst weitersehen." "Naja, die Schlaglöcher hier erinnern mich schon sehr stark an die Gegend, aus der Du herkommst. Brasilien hat nur Glück gehabt, daß die ganzen ausländischen Firmen sich da niedergelassen haben, sonst ürde es dort noch schlimmer aussehen als hier - immerhin können die Peruaner funktionierende Fahrräder bauen."

In Peru ist das Mautsystem etwas Idiotisch. Fährt man auf der PanAm in Richtung Hauptstadt, zahlt man keine Maut, fährt man von der Hauptstadt weg, zahlt man. Und nicht wenig. "Und da regst Du Dich über Mautstationen in Brasilien auf?", fuhr mich Catarina einmal an, nach dem x-ten Mauthäuschen. "Weißt Du, was der kleine Unterschied ist? Hier hat man dafür eine Straße. Da zahlt es sich leichter. Aber Euch muß man erst den Unterschied zwischen Geschäft und Raub erklären."

Irgendwie war ich doch froh, Brasilien hinter mir gelassen zu haben. Hinein ins Ungewisse - es ist gewiß besser, als die Gewißheit, die man in Brasilien hat. Heute wollten wir in der Pampa übernachten. Wir stoppten in einem Kaff und füllten die Vorräte auf, auch Cigaretten durften nicht vergessen werden, dann ging es wieder hinaus in die Wüste. "Was machen wir hier draußen an diesem Weltenende?", wollte Catarina wissen. "Fressen, pennen, unsere Ruhe haben", erklärte ich ihm. "Gut, aber auch kein Wasser, also keine Dusche, kein Dach, nichts. "Heut regnet es nicht und Wasser ist genug da. Nicht zum Duschen, aber außer Dir ist hier kein Schwuchtel an Bord. Du bist eindeutig in der Minderheit und wenn Du Aufstand schiebst, dann nehm ich Dir Deine künstlichen Fingernägel weg Und jetzt raus hier, Beine vertreten und aufbacken. Hopp!" Gabi kochte Nudeln mit Erbsen oder Mais. Paßt schon.

Der Wind ging heftig, die Wolken zogen auf, wie in einem Horrofilm, verzogen sich aber genau so schnell wieder, ohne auch nur einen Tropfen fallenzulassen. Wir saßen noch eine Weile im Auto. Gabi brach eine neue Cigarettenpackung an, ich machte gerade meine KTB-Notizen. "Hä? Was ist denn das für eine komische Kippe?", fragte sie überrascht. "Ja, das ist bestimmt ein peruanischer Scherz, die fliegt in die Luft, wenn man sie anzündet, kenn ich schon", sagte ich beiläufig, ohne mir anzusehen, worum es überhaupt ging. Mir war auf die Schnelle nichts Dümmeres eingefallen und plötzlich lagen Cigarrettenschachtel und die geheimnisvolle Kippe auf meinem Schoß. "Mach Du das mal", sagt mir Gabi ängstlich. Nun, als jahrelange Raucherin sollte sie eigentlich mit Cigaretten zurechkommen, aber man will ja nicht so sein. "Na, dann wollen wir mal sehen. Was haben wir denn da?" Ein Plastikrohr, größe und Form einer Light-Cigarrette, aber durchsichtig und an beiden Enden ein filterähnlicher Pfropfen. Ich öffnete das ganze und hatte einen Dollar in der Hand. "Nett. Die Kippenschachtel kostet gerade mal einen Dollar..." Wohl irgendein Werbegag...

Die böse Zigarrette entpuppte sich als Dollarschein. Nichts verkehrtes, Geld ist immer willkommen.
Im Hintergrund das KTB.

Für Cat war es natürlich ein wenig problematisch, die Hängematte aufzubauen, da nichts da war, woran er das andere Ende festmachen hätte können. Kein Baum, kein Strauch, nichts. Höchstens, wenn er beide Enden der Hängematte am Gepäckträger festmacht, aber das kann nicht bequem sein. Welche Lösung er letztendlich fand, entzieht sich meiner Kanntnis, denn ich fiel bald auf dem bequemen Gepäckträger in einen komaartigen Schlaf.


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