Afrika 2000
Dritte Etappe
Mittwoch, den 4. Oktober

Heute geht's nach San Pedro. Wir verabschiedeten uns von Harald und den Liberianerinnen, die heute nach Togo fahren, um bei der dortigen Botschaft ihr Glück zu probieren. Vielleicht würden wir uns am Freitag wiedersehen. Um 11:35 Uhr fuhtren wir aufs Plateau und kauften im Reisebüro Flugticket für Joe. Für ihn brachen nun die letzten Tage in Westafrika an, der Flug ging am nächsten Montag.
Mittags / Rkm 14.200 fuhren wir los nach San Pedro. Mario hatte Unterlagen von Freunden, die vor einigen Jahren nach Südafrika verschifft hatten. Die wollten wir mal ansehen.
Die Strecke dorthin führte duch den Regenwald - der letzte Rest in Westafrika.
Joe, Almut und der Daimler
Unser obligatorisches Gruppenbild. Die Kamera hatte keinen Selbstauslöser; kann man für 5 Mark einfach nicht verlangen. Also mußte ich das in die Hand nehmen. Danke, Senegal.
Ewig hohe Bäume, undurchdringliches Buschwerk, links wie rechts der Straße. Ab und zu Kafee und Kakao, auf dem Asphalt zum Trocknen ausgelegt. Auf dem Weg dorthin, es waren ungefähr 350 km, gab es fünf Polizeikontrollen. Die dümmste war die letzte, am Ortseingang von San Pedro. Gendarmerie, Zoll und Polizei. Einer krallte sich meinen Passavant und sagte "BlablablAbidjanblablabla" und zeigte auf das Wort Abidjan. Ich hatte bei der Einreise an der Grenze Abidjan angegeben, als sie fragten, wo wir hinwollten. Jetzt versuchte er zu erklären, daß ich mir in Abidjan eine Genehmigung hätte besorgen müssen, um nach San Pedro zu reisen. Dann diskutierten sie untereinander; treffender: sie brüllten sich an. Ich nahm meine Papiere und wollte schon davonschleichen, da pfiff mich einer zurück, ein anderer sagte, ich könne fahren. - "Ja, habt's es bald?" Ich fragte, wohin, denn nun, Abidjan oder San Pedro. Einer schrie Abidjan, ein anderer schrie San Pedro, der andere schrie "Go, go!". Ich suchte mir das Passende raus, was San Pedro war, verabschiedete mich mit einer tiefen Verbeugung, sprang ins Auto und peste los, bevor die sich zu unseren Ungunsten einig wurden.
Wir kamen nach San Pedro hinein, fuhren durch die angeblich größte Bidonville (=Kanisterdorf ?) in Westafrika und kamen nach einiger Suche, die uns durch den 38 Jahre alten Ländy, der auf einem Hügel stand, erleichtert wurde. Um 16:30 Uhr / km 649200 waren wir da. Das also war der berühmte Ländy, mit dem er von der Schweiz kommend im Jahre 96 hier an der Elfenbeinküste landete. Der Wagen stand da, in voller Montur, von Blechen über Zyklone bis hin zum Dachzelt.
Mario erinnert ein wenig an VW-Bus-Peter. Auch Schweizer, auch lange Haare, auch Schnurrbart und selbstverständlich dieses nette schwyzer Dütsch. Er wohnt hier seit 3 Jahren, wir sind seit 3 Tagen hier, blauäugig und ahnungslos, genauso lag auch unser erstes kurzes Gespräch, gleich beim betreten des Hauses:
"Und... wann seid ihr losgefahren?"
- "Um Zwölf."
"Keine Schwierigkeiten?"
- "Natürlich nicht. Warum?"
"Habt ihr eine Ahnung über die Lage hier im Land?"
- "Nö, woher denn? Nur von einem Putschhversuch haben wir in Mali gehört, aber sonst... Wieso? Ist was?"
"Nö, nö. Das Land steht nur kurz vorm Bürgerkrieg, aber sonst ist alles normal."
- "Hoppla. Plöt. Und waas sollen wir jetzt machen?"
"Legt erstmal ab, danach unterhalten wir uns."
Wir unterhielten uns dann bis nach Mitternacht und unterbrachen das Gespräch nur, um die Nachrichten um 8 zu hören. Die schienen alles, was er gesagt hatte zu unterstreichen. Nur zwei Sachen noch:
Ausnahmezustand vom 6. bis 10. Oktober von 21:00 bis 6:00 Uhr und
Bombenanschlag auf einen Bus in Abidjan mit fünf Toten einschließlich des Bombemlegers.
"Geht ja heftig zu, bei Euch. Haben nichts mitgekriegt davon." Wie denn auch? Für die deutsche Welle ist das uninteressant und die hiesigen Nachrichten hielten wir für uninteressant, dabei ist das Staatsfernsehen immer darum bemüht, gute Stimmung zu verbreiten, was am letztgenannten Bericht gut zu erkennen war. Nicht so wie bei ARD oder ZDF, die schön brav und verschämt die Brandspuren und die zersplitterten Scheiben des Busses zeigen würden, sondern sie zeigen etwa fünf Minuten lang alle Toten in Nahaufnahme, abgerissene Gliedmaßen, alles voller Blut, dennoch war etwas komisch an diesem Bericht. Ich habe es erst gar nicht gecheckt, irgendwas an dem Bericht war halt komisch, aber ich wußte nicht, was. Erst als Mario, der wohl bemerkt hatte, daß ich mich gerade konzentrierte, herauszufinden, was an dem Bericht denn nun komisch war, anfing, im Wohnzimmer zu tanzen fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Die Hintergrundmusik... sie spielten dazu - ungelogen - Jazzmusik nach dem Motto:
"Fünf kleine Negerlein, die wollten in den Bus,
Da ging 'ne böse Bombe hoch und sorgte für Verdruß."

Man faßt es nicht. Ich möchte nicht wissen, was für Proteststürme ein Sender bei uns für sowas ernten würde, die müßten am nächsten Tag schließen weil alle Mitarbeiter verhaftet wären.
Danach ging es weiter im Gespräch. Wir gingen die Politik durch. Ein Wirrwarr, auf das ich nicht näher eingehen möchte, nur grob umreißen. Von 19 Präsidentschaftskandidaten wurden 14 oder 15 ausgeschlossen, die Oposition führt sich auf, das Militär wird keinen Zivilisten an der Spitze des Staates dulden usw. Es kam eine Liste raus, die bewies oder "bewies", daß der oberste Richter zu der und der Partei gehört, also wird, weiß der Geier, wer die Entscheidung des obersten Richters nicht anerkennen. Für den nächsten Tag wurde zur Demonstration aufgerufen. Ärger also vorprogrammiert.
Revolution ist hier gleichbedeutend mit Plünderungen im großen Stil mit Waffengewalt. Bei der letzten stürmte das Militär bevorzugt Autohäuser und die "Soldaten" nahmen alle Katkats mit, die sie kriegen konnten, aber es wurde auch einfach auf die Straße gestürmt, Autos angehalten und die Besitzer mußten zu Fuß weiter, während die Maraudeure Schüsse in die Luft abfeuernd mit den Autos davonzogen. Mario riet uns dringend davon ab, nach Abidjan zurückzufahren, denn wenn es scheppert, dann dort und nicht hier. Joe sollte mit dem Bus fahren, aber das kam nicht in Frage. Wir sind zusammen unterwegs und Busse sind auch nicht sicherer, wie man eben deutlichst sah. Lieber auf den Camping zurück, die Luft aus den Reifen lassen und hoffen, daß sie sich dann das nächste Auto klauen.
Danach gingen wir die Kriminalität durch. Er kannte einige Fälle. Diese romantische Straße durch den Resturwald, auf der wir gekommen waren wird Nachts regelmäßig überfallen. Gut zu wissen, also tagsüber passieren.
Es kam ein Anruf, Swissair hätte die Flüge nach Abidjan gestrichen. Jetzt begann die Sache langsam mulmig zu werden, denn wir hatten jetzt ein Ticket und wenn die Theater machen, dann hängt hier einer fest und die Bundeswehr muß weinen, weil ein Wehrpflichtiger fehlt. Die Spätnachrichten bestätigten, daß Swissair, KLM und Sabena die Flüge gestrichen hätten. Nun hatten wir die Gewißheit, daß wir uns in einem angehenden Krisengebiet befanden. Das war anders als in Jugoslawien. Dort wußte man das schon Wochen vor der Einreise, hier hatte es uns unvorbereitet erwischt, wenn auch noch nichts passiert war. Völlig unvorbereitet erwischte es uns natürlich nicht, denn man hatte uns seit Mali davon abgeraten, hierherzukommen, allerdings hatten wir es riskiert und jetzt das Gefühl, es wäre danebengegangen.
Es kam noch eine Kleinigkeit hinzu, die nicht gerade beruhigend wirkte: Die Franzosen hatten ihre Truppen verstärkt und Kriegsschiffe vor der Küste postiert.
Dann erklärte er uns den Umgang mit der Polizei. Die haben eine Martikül, eine Nummer in der linken Brusttasche. Wenn sie die nicht anhaben, dann kann man davon ausgehen, daß sie einen abzocken wollen. Man soll sie höflich danach fragen, dann geben sie meistens Ruhe.
Wir unterhielten uns auch über andere Sachen, wie zum Beispiel über unseren weiteren Weg. Ich sagte, daß ich vorhätte, nach Südamerika weiterzufahren, also Auto und Besatzung auf einen Frachter und ab. Er fing an zu lachen, wie ich auf die Idee käme, daß das überhaupt möglich sei.

Meine Argumentation, als einer, der sich nie mit dem Thema beschäftigt hat:

1. Abidjan ist der größte Hafen in Westafrika, ergo gehen da auch Schiffe nach Südamerika.
2. Es ist bestimmt möglich, auf so einem Schiff mitzufahren, weil ich habe da mal von einer Reportage gehört.
3. Es muß billiger sein, als mit dem Flugzeug, denn Preise werden durch Angebot und Nachfrage geregelt, jeder will das Flugzeug, keiner das Schiff, also muß das Schiff billiger sein.

Seine Argumentation als Rheinmatrose, der auch im Hafen von Abidjan öfter mal zu tun hat:

1. Was wird von Afrika nach Südamerika geliefert? Kaffe? Kakao? Wohl kaum, exportieren die Brasilianer selbst zur Genüge. In Afrika wird nichts produziert, alles kommt von Europa. Von Südamerika kommen Autos, und es geht bestimmt auch was nach Südamerika, aber nicht von Afrika aus. Die Schiffe bringen hier Ware an und fahren dann weiter nach Europa, dann erst nach Südamerika zurück. Es kann sich kein Unternehmen heutzutage leisten, seine Schiffe leer über den Atlantik zu jagen, das kostet alles Geld.
2. Es gibt auf Transatlantikrouten keine RollOn-RollOff-Schiffe oder Fähren àlla Genua - Tunis. Kombinierte Fracht- und Passagierschiffe gibt es überhaupt nicht mehr. Das Auto muß also in einen Container und der Container dann auf ein Containerschiff. Soweit kein Problem. Diese Schiffe haben aber keine Kabinen für Passagiere, und wenn doch, dann fahren da die Offiziersweiber mit.
3. Gesetzt den Fall, man fände ein Frachtschiff, das Passagiere mitnimmt, dann begibt man sich in eine Lage, die leicht kritisch werden kann, vor allem dann, wenn man eine Frau dabeihat. Da kann man nicht weglaufen, höchstens über Bord geworfen werden, wer hindert sie denn daran? Denn eine Frachtschiffbesatzung, die Passagiere mitnimmt kann nur unseriös sein. Er habe selbst ein Angebot bekommen, Auto und Familie nach Walvis Bay. Er hat abgelehnt, da er nicht lebensmüde sei.
4. Ein Schiff kann nicht billiger als ein Flugzeug sein, denn in einem Flugzeug sitzt man höchstens zwölf Stunden auf einem Pullmannsitz, man bekommt drei oder viel Mahlzeiten, dann ist man weg und alles andere interessiert die Fluggesellschaft nicht mehr. Auf einem Schiff ist man drei Wochen, muß also auch drei Wochen versorgt werden, man braucht eine Kabine, die Wäsche muß gewaschen werden, das Bett frisch bezogen werden usw. Das Flugzeug ist für Passagiere ausgelegt, das Schiff, zumindest ein Containerschiff, nicht, es ist ein Arbeitsplatz, an dem Fremde nichts verloren haben.
5. Und was, wenn einer von Euch krank wird? Gerade ein gewisser Markus, der einen Monat in Westafrika rumgurkt, immer im freien schläft und es nicht einmal für nötig hält, eine Malariaprophylaxe zu nehmen? Ein Besatzungsmitglied ist versichert, ein Passagier nicht. Die müßten dann den nächsten Hafen anlaufen, wenn es ihnen nicht egal ist, ob ein Passagier verreckt oder nicht. Und ob ich eine Ahnung hätte, wie hoch die Anlegegebühren sind? Dieses Risiko wird keine Gesellschaft eingehen.
6. Ob ich schon mal irgendwo gehört oder gelesen hätte, daß jemand das Auto UND die Insassen verladen hätte. Er nicht - ich auch nicht. Das geht auf dem Mittelmeer oder entlang der Küsten, aber nicht über Weltmeere. Leute, die es sich finanziell Leisten könnten, auf dem Schiff mitzufahren, denen ist es zu unbequem, sie nehmen lieber ein Flugzeug und anschließend ein Hotel und die, denen jede Pritsche als Schlafgelegenheit recht wäre, die haben nicht das nötige Kleingeld. Mit 5 oder 6.000 Mark braucht man da nicht anfangen, da muß man schon eine 2 davor, wenn nicht gar eine Null hinten hinsetzen.

Seine Schlußfolgerung: Die Sache sehr naiv angegangen. GPS, das man nicht braucht, dabei, aber keine Erkundigungen eingeholt bezüglich Verschiffungsmöglichkeiten in Westafrika. Bei der Planung, die sicher verglichen mit anderen Touristen sehr gründlich war, mit voller Wucht daneben geschlagen. Bis dahin, wo geplant war, wo man aber nicht groß zu planen braucht, hat alles geklappt und genau dort, wo die Planung aufhört, hört vermutlich auch die Reise auf.
Sein Vorschlag: Umkehren, oder das Auto verkaufen - ist hier nicht schwer - und zurückfliegen. Toll!
In der Nacht schlief ich nicht sehr ruhig. Er hatte Recht, so ein Mist! Klingt alles sehr logisch. Was nun? Autoverkauf kam nicht in Frage. Den ganzen Weg zurück? Zurück nach Deutschland? Grauenhaft! Nocheinmal Bamako - Kayes mit dem Zug, danach zusehen, wie wir durch Mauretanien kommen? Algerien, vielleicht? Was mir auch einfiel, es gefiel mir nicht. Am ehesten noch, das Auto in einen Container nach Brasilien schicken, noch ein bißchen Urlaub in Abidjan machen und in ein oder zwei Wochen hinterherfliegen.
Bei der Vorstellung bekam ich ein Gefühl, wie damals in der Schule, am Ende eines jeden Schuljahres, als die Zeugnisvergabe war und ich schon fast sicher wußte, daß in der entscheidenden Zeile stand: Der Schüler hat das Klassenziel nicht erreicht. Herzklopfen. Wie nach einem Gespräch mit einem gewissen Altettaler, den ich nach Jahren wieder traf. Ich sitze da, höre mir das an, denke mir "Verdammt, er hat ja so Recht". Die blöden Sprüche, die man sonst immer auf Lager hat bleiben im Hals stecken und man kommt sich vor wie ein Schüler der Sextaner, den einer aus der Oberprima gerade zur Sau macht, all das, was man für gute Argumente hielt, mit ein paar Sätzen in der Luft zerreißt.
"Das kann doch nicht das Ende sein". Es hat doch bisher so gut geklappt, wir sind doch nicht 15.000 Kilometer gefahren, haben doch nicht die Sahara durchquert, haben uns doch nicht über Schlaglöcher und üble Pisten im Schneckentempo vorwärtsgequält, haben uns nicht die Stoßdämpfer ruiniert, nur um einige Meter vor dem Ziel umkehren zu müssen. Das ergibt keinen Sinn. Das war das letzte Argument, das ich noch hatte. Allein es hatte kein Gewicht.


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© by Markus Besold